»Wir sind gar nicht so anders«

An einer Schule in Osnabrück lernen junge Christen, Muslime und Juden gemeinsam

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 6 Min.

Karim* hat schon sehr früh gefrühstückt. Bis zum Sonnenuntergang fasten der Junge und seine Eltern, es ist gerade Ramadan. Deswegen wird er auch auf der Geburtstagsfeier nichts essen, zu der Miriam eingeladen hat. Das weiß die Achtjährige, und erzählt, dass es bei ihr dafür zu Weihnachten keine Geschenke gibt, denn sie feiert dann Hanukkah. Julia, die beste Freundin der beiden, ist nicht dabei, sie ist sonntags immer zur Messe in der Kirche ihrer Gemeinde. Am Montagmorgen werden sich die drei aber wiedersehen. Karim, Miriam und Julia gehen in eine Klasse.

Gemeinsam mit den Dreien besuchen noch 19 weitere Kinder die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Sie ist die erste ihrer Art in Deutschland und besteht bisher nur aus diesen Schülern. Vor knapp einem Jahr startete der erste Jahrgang in einer multireligiösen Klasse: Neun muslimische, elf christliche und zwei jüdische Kinder drücken seitdem gemeinsam die Schulbank. Riesig war das öffentliche Interesse zum Schulbeginn 2012. Geradezu eingefallen sei die Presse zur Einschulung, sagt Schulleiterin Birgit Jöring. »Das war ein heftiges Erlebnis.« Journalisten im Unterricht sind seitdem verboten, um die Kinder zu schützen.

Religion erfahren, in einen Dialog treten

Die haben jetzt aber sowieso erst mal Ferien. Es ist leer auf dem Schulhof vor dem flachen Neubau, der sich äußerlich nicht von einer gewöhnlichen Schule unterscheidet. Keine Kinderfüße rennen im Treppenhaus auf und ab, und Schulleiterin Birgit Jöring kann in Ruhe die Plakate erklären, die im Lauf des Jahres entstanden sind. Sie zeigen religiöse Alltagsgegenstände, beschreiben Festtage, sind mit Männchen in gelb, rot und blau bemalt, die sich an den Händen halten. »Unsere Schüler sollen die eigene Religion erfahren«, sagt Jöring. Nur wer sich darin auskenne, könne auch mit anderen in den Dialog treten. Deshalb ist der getrennte Unterricht in der jeweiligen Konfession auch der wichtigste Baustein im Konzept der Schule. Einmal im Halbjahr widmen sich die Kleinen in Projekttagen der islamischen, christlichen und jüdischen Kultur - und bringen sie auch ihren Mitschülern näher, loten Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus. Ein respektvolles Verhältnis entstehe so von ganz allein. »Wir waren überrascht, wie selbstverständlich die Kinder mit ihren unterschiedlichen Hintergründen umgehen«, sagt Jöring. »Sie sind stolz und neugierig zugleich - da müssten eher wir Erwachsenen noch dazulernen.«

Auch Claudia Sturm ist stolz auf das, was die Schule erreicht hat. Sie ist Schulrätin des Bistums Osnabrück, dessen Schulstiftung der Träger ist. Unterstützt wird das Bistum von der jüdischen Gemeinde, dem islamischen Landesverband Schura, der DITIB-Türkisch-Islamischen Gemeinde und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. »Vor einem Jahr hatte das alles noch gar kein Gesicht«, erinnert sie sich. Die Entscheidung, die ehemals öffentliche katholische Einrichtung in eine private mit offenem Konfessionszusammenhang umzuwandeln, war dringend notwendig. In ihrer alten Form war der katholischen Johannisschule die Klientel immer weiter weggeschrumpft. Dem Stadtrat blieben zwei Möglichkeiten: entweder die Umwandlung in eine öffentliche Schule ohne Bekenntnis oder der Plan des Bistums für eine trialogische Grundschule. Seit 2012 ist die Johannisschule nun konfessionslos, läuft aber aus und nimmt keine Erstklässler mehr auf. Die kommen stattdessen in die Drei-Religionen-Schule, die sich im selben Haus befindet.

Mit starkem Selbstbewusstsein

Nicht alle waren mit dieser Lösung zufrieden. Keiner der zwölf Lehrer wollte an dem neuen Projekt teilhaben und von einer öffentlichen an eine Schule in Trägerschaft wechseln. Auch inhaltlich gab es Kritik: Die trialogische Grundschule würde die Schüler durch ihren Fokus auf die unterschiedlichen Religionen eher spalten als näher zusammenbringen.

Sturm hält das für Unsinn. Die Zeit der religiösen Schulen mit nur einer Konfession sei eben vorbei. »Es gibt einfach nicht genug katholisch getaufte Kinder«, sagt sie ganz unaufgeregt. »Dem müssen wir uns stellen, das ist nun mal so.« Das Konzept des Bistums hält sie für den geeigneten Weg - gerade in einer Zeit, in der die Rufe nach Wertevermittlung in der Schule wieder lauter werden. Die Religion im Schulalltag stärke das Selbstbewusstsein der Schüler. In der Auseinandersetzung mit der eigenen und der der anderen lernten sie wichtige Kompetenzen für das spätere Leben: Kommunikationsfähigkeit und Verständnis.

Wie die Umsetzung dieser Ideen aussehen sollte, war vor einem Jahr noch nicht so klar. »Kopfzerbrechen« habe den Schulplanern beispielsweise die Frage bereitet, wie denn Weihnachten gefeiert werden sollte. »Da leuchteten am Ende Weihnachtskranz und Hanukkah-Kerzen nebeneinander im Fenster«, erzählt Direktorin Jöring. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe verbindlicher Regeln. Während des Ramadan finden zum Beispiel keine Schulfeste statt, ebenso wenig wie an Schabbat, dem Ruhetag der Juden. Auch die Schuleinführung muss danach geplant werden. Kopftuch im Unterricht? Das ist an der Drei-Religionen-Schule kein Problem. Was nicht geht, ist eine Burka. »Das ist aus pädagogischen Gründen nicht machbar«, sagt Sturm. Gerade jüngere Kinder seien auf eine eindeutige Kommunikation angewiesen, Körpersprache gehöre dazu.

Die Eltern sind heute überzeugt von der Schulform. Am Anfang seien einige noch irritiert gewesen. »Wir wurden zum Beispiel gefragt, ob wir nur religiöse Lieder im Gesangsunterricht singen«, erinnert sich Jöring. »Dabei sind wir gar nicht so anders.« Denn die Verankerung von Glaube im Schulalltag ist nur ein Teil des Gesamtkonzepts. Die Drei-Religionen-Schule ist ganztägig, die Rundum-Betreuung der Kinder steht im Vordergrund. In den meisten Fächern sind immer zwei Lehrer im Klassenzimmer, die Viertklässler aus der Johannisschule übernehmen Patenschaften für die Anfänger. Die Räume sind mit multifunktionalen und verstellbaren Tischen und Stühlen ausgestattet. So können Größere und Kleinere zusammen spielen und basteln. All das wirkt sich auch auf die Sprachfähigkeiten derer aus, die nicht in Deutschland geboren wurden. »Bei uns können alle Erstklässler lesen«, sagt Schulrätin Sturm.

Wie weiter nach der Grundschulzeit?

Mittlerweile hat sich das Konzept herumgesprochen, vor allem immer mehr muslimische Eltern möchten ihre Kinder hierhin schicken. Im nächsten Jahr wächst die erste Klasse auf 38 Schüler, für 2014 haben sich schon jetzt 42 angemeldet. Ein Nachwuchsproblem gibt es anscheinend nicht. Neben Migranten mit muslimischem Hintergrund leben auch viele Anhänger des jüdischen Glaubens in Osnabrück, über 1000 Mitglieder zählt die Gemeinde. Ein Gymnasium in Essen hat vor, ein ähnliches Modell auf die Beine zu stellen. Und auch in der Stadt haben zwei Oberschulen und zwei Gymnasien Interesse bekundet. Gemeinsame Gespräche stehen demnächst an, sagt Sturm. »Für uns ist das das nächste Ziel.«

Die heutigen Erstklässler sollen nicht plötzlich ohne religiöse Begleitung dastehen, wenn sie von der Grundschule an eine weiterführende Schule wechseln. »Viele Eltern fragen jetzt schon, wie es denn später aussieht.« Auch höhere Stufen nach dem Vorbild der Drei-Religionen-Schule zu gestalten, kann sich Sturm gut vorstellen. In jedem Fall profitierten die Kinder aber auch von der besonderen Lehrform, sollte so ein Modell nicht zustande kommen. Viele der Schüler kennen die Koran- und Bibelgeschichten schon recht gut, die jüdischen lernten bereits hebräisch - Dinge, die sich Schüler anderswo später und dazu noch nach dem regulären Unterricht aneignen müssen.

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