nd-aktuell.de / 20.07.2013 / Kultur / Seite 20

Der (einst) geliebte Mörder

ZUR SEELE: Erkundungen mit Schmidbauer

Am 10. Juli 2013 bewaffnete sich ein 38-jähriger Streifenpolizist in einem Münchner Vorort mit seiner Dienstwaffe und einem Revolver. Er fuhr zur Arbeitsstelle seiner Lebensgefährtin, die sich vor kurzem von ihm getrennt hatte; die fünfjährige Tochter des Paars war um diese Zeit bei den Großeltern untergebracht. Die Eltern waren sich über das Sorgerecht nicht einig geworden. Der Vater holte die Mutter aus ihrem Betrieb, um mit ihr über das Kind zu reden. Nach einem kurzen Gespräch richtete er seine Dienstwaffe auf sie und schoss das ganze Magazin leer. Sie war sofort tot. Der Täter stieg in sein Auto und erschoss sich dort mit dem Revolver.

In einer Pressekonferenz erklärte der Polizeipräsident von München, Hubertus Andrä, der Täter sei ein mustergültiger Streifenpolizist gewesen, wegen seiner freundlichen, ruhigen Art sehr beliebt und vor der Beziehungskrise gerade damit beschäftigt, ein Fachstudium für die Übernahme in den gehobenen Dienst anzutreten. Die Kollegen seien bestürzt, dass die Tat trotz aller Hilfsangebote und Gespräche nicht abzuwenden gewesen sei. Ein Abschiedsbrief fand sich nicht. Der Grund für die Tat, sagte der Polizeipräsident, bleibt uns vermutlich für immer verschlossen.

Derlei zugleich beschönigende und distanzierende Rhetorik ist uns vertraut; Bill Clinton sagte nach dem Massaker an der Columbine High School fast dasselbe. Solche Aussagen stehen für die kulturelle Verleugnung, welche die Gefahren der Symbiose und der narzisstischen Kränkung umgibt. Wer kann uns mehr kränken als ein Partner, von dem wir Liebe erwartet haben und der sich jetzt abweisend verhält? In Wahrheit können sich die meisten Menschen, die sich aggressive Fantasien nicht verbieten, an Todeswünsche gegen kränkende Personen erinnern.

»Ich habe die friedlichste Gesinnung. Meine Wünsche sind: eine bescheidene Hütte, ein Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Tür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, läßt er mich die Freude erleben, daß an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden. Mit gerührtem Herzen werde ich ihnen vor ihrem Tode alle Unbill verzeihen, die sie mir im Leben zugefügt - ja man muß seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehenkt werden.« (H.Heine, Gedanken und Einfälle)

Polizisten fühlen sich als Vertreter von Recht und Ordnung. Sie tragen eine Waffe, um sich selbst zu schützen und das durchzusetzen, was sie für richtig halten. Dass eine solche Mischung angesichts eines von rechthaberischen Auseinandersetzungen geprägten, bereits die Alltagstauglichkeit beschädigenden Symbiosekrieges höchst gefährlich ist, wird leider oft erst im Nachhinein klar. Das freundliche und ruhige Wesen eines Menschen ist stets an günstige Bedingungen geknüpft; so lange er sich respektiert fühlte, war dieser Täter vermutlich angepasst und unauffällig.

Die sexuelle Hingabe ebenso wie die in ihr wurzelnde Generativität schafft eine neue narzisstische Einheit. Sie macht die Individuen auf eine katastrophenträchtige Weise durchlässig, als hätte sich durch die Pforte, die vom Eros geöffnet wird, auch eine mörderische Wut eingeschlichen. Der Ehepartner ist nach jedem Mord der erste Verdächtige, aus gutem statistischen Grund. Wären sie Single geblieben, wäre ihre Partnerschaft gut gegangen, hätte sich ihre symbiotische Erwartung stabilisiert - Opfer und Täter würden sich noch des Genusses eines unbeeinträchtigen Lebens erfreuen.

Verlustangst kann so mächtig werden, dass die Vernichtung des entfremdeten Objekts ebenso attraktiv ist wie die Selbstvernichtung. Wer seinen Partner tötet, entlastet sich von der Trennungsangst ebenso wie der Suizidale. Desdemona wird in der Othello-Tragödie ebenso für ihre imaginäre Untreue bestraft wie zur dauernden Treue gezwungen.

Auf jeden Mord aus enttäuschter Liebe und Eifersucht treffen mindestens zehn Suizide; kleinere Gemeinheiten und Gewalttaten oder auch Selbstmordversuche lassen sich gar nicht erfassen. Wer Glück als Seelenruhe und Abwesenheit von Schmerz definiert, hat in einem zölibatären Leben die besseren Chancen. Die Wortführer freilich, die in solchen Fällen gar nichts verstehen wollen, werfen mit dem Verständnis auch die Verantwortung über Bord - Bill Clinton, der die Waffenlobby in den USA nicht provozieren will, der Polizeipräsident, der die martialische Bewaffnung seiner Truppe so wenig in Frage stellen mag wie die Mehrheit im Bundestag es riskiert, sich mit den Sportschützen anzulegen. Narzisstische Kränkbarkeit plus automatische Schusswaffe in der Schublade sind eben eine sehr viel gefährlichere Mixtur als die rechthaberische und rachsüchtige Psyche alleine.