Impfpflicht wäre wünschenswert

  • Thomas Mertens
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass derzeit zu wenige deutsche Kleinkinder ausreichend gegen Masern geimpft sind, stellt ein großes medizinisches Problem dar. Eine - wie vom Bundesgesundheitsminister erwogene - allgemeine Impfpflicht bei Masern wäre daher aus Sicht der Seuchenmedizin und der Epidemiologie sinnvoll, doch gesellschaftspolitisch kaum durchsetzbar. Umso wichtiger ist es, Masern und ihre Folgen ins Risikobewusstsein unserer Gesellschaft zu bringen. Immerhin beträgt die Todesrate an Masern in Europa etwa 0,04 Prozent, und es können schwere Spätfolgen auftreten, ganz abgesehen von der Infektionsgefahr für andere Menschen.

Warum nur tun sich manche Mütter und Väter - zudem überwiegend aus dem Bildungsbürgertum - so schwer mit der wirkungsvollen Masern-Impfung? Gemessen am Verhältnis zwischen Nutzen, Kosten und Anwendungsaufwand dürfte es sich bei Impfungen generell um die effizienteste unter den medizinischen Maßnahmen handeln, die wir kennen. Diese nutzt die natürlichen Abwehrmechanismen des Menschen, die ganz ähnlich auch bei einer Infektion ausgelöst werden.

Der Masern-Impfstoff - wie auch andere Impfstoffe - bietet zudem weitaus mehr als nur den Schutz des einzelnen Geimpften. Auch Menschen, die aus bestimmten Gründen nicht geimpft werden können, sind in der immunisierten Bevölkerung vor einer Maserninfektion geschützt. Allerdings nur, so lange ein ausreichend hoher Anteil (größer als 95 Prozent) geimpft ist. Wir sprechen von einer sogenannten Herdenimmunität.

Da sich das Masernvirus ausschließlich im Menschen vermehren kann, wäre sogar eine weltweite Ausrottung der Masern durch Impfung möglich, so wie es bei den Pocken und bei der Kinderlähmung für Europa erreicht wurde. Um einen ausreichenden Impfschutz zu erlangen, müssen Kleinkinder zweimal gegen Masern geimpft werden, und nach 1970 geborene Menschen, die bislang nur einmal oder gar nicht geimpft wurden, sollten sich unbedingt nachimpfen lassen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 1983 das Ziel verkündet, die Masern weltweit auszurotten, und die meisten Länder, so auch die Bundesrepublik (1999), haben sich diesem Ziel verpflichtet. Nach dem Sieg über die Pocken und der nahezu erreichten Elimination der Polio sind die Masern im Weltmaßstab die wohl wichtigste verbliebene durch Impfung vermeidbare Erkrankung.

Masern verursachen weltweit etwa die Hälfte der kindlichen Todesfälle durch Krankheiten, die durch eine Impfung zu vermeiden wären. Auch in reichen Ländern sind die Masern nicht so harmlos, wie gelegentlich dargestellt. Es gibt bei Masern viele Superinfektionen mit Mittelohrentzündungen und virale oder bakterielle Lungenentzündungen. Bei 0,1 Prozent der Fälle kommt es nach der Infektion zu einer Hirnentzündung, die in zehn bis 20 Prozent tödlich endet, und in 20 bis 30 Prozent der Fälle verursacht die Infektion Dauerschäden am zentralen Nervensystem. Besonders schwere Verläufe treten bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem auf.

Der Erfolg der weltweiten Bemühungen ist insgesamt vorzeigbar. In Amerika, wo eine indirekte Impfpflicht besteht, ist das Masernvirus bereits verdrängt. Auch in zahlreichen europäischen Ländern gibt es keine Masern mehr, in Finnland traten die letzten Fälle 1996 auf. Weltweit konnte die Zahl der masernassoziierten Todesfälle von 2000 bis 2011 um 71 Prozent (von 542 000 auf 158 000) reduziert werden. Der Masernimpfstoff wird von Ärzten bereits jahrelang verwendet, er ist gut wirksam und insgesamt ausgezeichnet verträglich, wobei vorübergehende Nebenwirkungen gelegentlich vorkommen.

In Deutschland traten 2013 leider wieder zunehmend Neuerkrankungen auf, regelhaft in Form von Ausbrüchen vor allem in Gemeinschaften, in denen nicht ausreichend geimpft wurde. Diese Ausbrüche gefährden das Ziel einer Elimination und gefährden Mitbürger, die aus medizinischen Gründen, wie etwa Säuglinge oder Menschen mit bestimmten Grunderkrankungen, nicht geimpft werden können. Zunehmend infizieren sich auch Jugendliche und Erwachsene, die nicht wie von der StIKo (Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut) empfohlen, zweimal gegen Masern geimpft wurden. Bei ihnen können Masernerkrankungen einen schweren Verlauf nehmen.

Es stellt sich also die Frage, ob eine Impfpflicht ein geeignetes und zulässiges Instrument ist, um die erforderliche Impfbeteiligung von mindestens 95 Prozent zu erreichen. Es erscheint absurd, dass sich Einzelne bewusst nicht impfen lassen, weil sie auf den Effekt der Herdenimmunität vertrauen oder falschen Ratgebern Glauben schenken. Ob die Tatsache, dass die Impfung nicht nur dem Individualschutz, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit dient, im Hinblick auf eine individuelle Verpflichtung ein rechtliches Problem darstellt, müssen hierzu Berufene klären. Aus medizinischer und epidemiologischer Sicht spricht durchaus einiges für eine Impfpflicht, allerdings halte ich diese in Deutschland nicht für durchsetzbar und hoffe daher, dass auch durch gute Information und intensive Aufklärung das nationale Impfziel erreichbar ist.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal