nd-aktuell.de / 20.07.2013 / Kultur / Seite 14

Besser eine gut gemalte Rübe als eine schlecht gemalte Madonna

Wie die französische Moderne Max Liebermann bezirzte - eine Ausstellung am Wannsee

Martina Jammersl

»Ich send‘ Euch diese Rezension/ Von Eurem einst verkannten Sohn, / Der réellement - und damit Ihr‘s wisst -/ est un de nos plus grands artistes./ Dies steht nun fest für immerdar,/ gedrucktes Zeug ist ja stets wahr.« Diese Zeilen richtete der 36-jährige Max Liebermann mit Genugtuung aus Paris an seine Eltern, als in der renommierten französischen Kunstzeitschrift »L’Art« der erste monografische Artikel über ihn erschienen war. Die Eltern des Industriellensohnes mit Wohnsitz gleich neben dem Brandenburger Tor waren nicht sehr erbaut über die von ihm eingeschlagene Karriere als Maler. Musste er sich im Kaiserdeutschland als »Apostel der Hässlichkeit« diffamieren und der »Schmutzmalerei« bezichtigen lassen, so erfasste die französische Kritik recht früh die Begabung und die Kultur der »peinture« des deutschen Impressionisten.

Der Kontrast in der Bildbewertung beider Länder konnte kaum größer sein. Die sehenswerte Schau »Liebermann und Frankreich« sucht den kontroversen Positionen nachzuspüren. Als Liebermann 1872 mit seinen »Gänserupferinnen« erstmals mit einem großformatigen Gemälde an die Öffentlichkeit trat, war ihm bewusst, dass ihm Gegenwind entgegenwehen würde: »Mein Bild ist allerdings noch nicht über den Berg, denn da das Sujet gedanklich gleich null ist und alles der Malerei untergeordnet, so kann ich mich da nur auf mein gutes Gewissen verlassen.«

Als die »Gänserupferinnen« in Hamburg und Berlin gezeigt wurden, hagelte es prompt harsche Kritik. In der »Vossischen Zeitung« stieß sich der Journalist an dem »widerlichst Abscheulichsten, was es (….) an verhunzten Menschenbildern, speziell alten Dorfweibern in der Welt nur geben mag«. Demgegenüber nahm sich die Aufnahme Liebermanns in der französischen Hauptstadt, in der er ab 1873 für mehrere Jahre lebte, geradezu enthusiastisch aus. Man rühmte ihn für seine virtuose Behandlung des Lichts. So nennt ihn der Kaufhausmagnat und Monet-Förderer Ernest Hoschedé in einem Atemzug mit keinem Geringeren als Edouard Manet.

Wie konnten sich so unterschiedliche Geschmackspräferenzen herausbilden? Es gibt einen interessanten Bericht eines anonymen Kritikers über den künstlerischen Status quo der Weimarer Ateliers. Seit 1868 studierte Liebermann an der Großherzoglichen Kunstschule Weimar, die einen guten Ruf genoss. Sein Seufzer »Dass Gott die Maler vor Gedanken behüte, und - dem Publikum die richtigen über Malerei gäbe!« fasst die Situation prägnant zusammen. Es hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine stereotype Gegenüberstellung herausgebildet zwischen französischer Materialität und deutscher Idealität. Darauf hebt auch der erwähnte namenlose Kritiker in der »Kunst-Correspondenz für die Mitglieder von Sachse’s Internationalem Kunstsalon« in Weimar ab. Er attestiert dem »sogenannten Gedankenreichtum« der Deutschen, das »Haupthemmniß« für die Entwicklung der Malerei zu sein.

Wie der soeben von France Nerlich und Bénédicte Savoy vorgelegte erste Band des Künstlerlexikons »Pariser Lehrjahre« eindrucksvoll belegt, war eine solche Sichtweise nicht zuletzt den »unterschiedlichen Ausbildungsprozessen und praktischen Erfahrungen in Frankreich und Deutschland geschuldet«. Im Lehrsystem der École des beaux-arts wie auch in den großen Pariser Privatateliers stand das Malen selbst, das Erlernen der Technik der Malerei und damit das souveräne Beherrschen diverser malerischer Mittel im Vordergrund. Dies stand im Gegensatz zum vielbeklagten konservativen Lehrbetrieb der meisten deutschen Akademien mit ihrer Fixierung auf das Sujet.

Liebermann wollte partout die neue französische Freilichtmalerei an Ort und Stelle kennenlernen. Was hat er gesehen? Einer seiner Fixsterne war Jean-François Millet. Diesen hielt Liebermann für den »epochemachendsten Maler. Kritiker wie Kunsthistoriker sprachen ihm das Verdienst zu, als Erster die Landarbeit in all ihrer Härte wiedergegeben zu haben. Liebermann zitiert dessen «Ährenleserinnen» von 1857 in seiner eigenen «Kartoffelernte in Barbizon». Millets legendären Sämann variiert er in einer schmissigen Ölstudie, flankiert von genialisch auffliegenden Krähen. Niemals ist Liebermann indes einer Agrarromantik verfallen. Dies zeigt sich etwa bei seinen «Netzflickerinnen» (1889), die vom Vorbild Millet zehren, wenn der Maler die Figuren in die Landschaft einbettet. In ihrer schonungslosen Ausführung besaß die Malerei Millets Gaultier zufolge, alles, «was es bedarf, einen Bourgeois mit glatt rasiertem Kinn zu schrecken.»

Als sich Liebermann ab 1873 zu Studienzwecken in Paris aufhielt, scheinen ihn die aktuellen Errungenschaften der französischen Impressionisten nicht sonderlich zu berühren. Erst ab den 1890er Jahren hellt sich sein Farbenspektrum auf, und er malt nun häufig direkt mit den Palettmesser alla prima auf die Leinwand. Insbesondere lässt sich ein Themenwechsel registrieren, weg von den so genannten «Arbeiterbildern» hin zu Biergarten- und Strandszenen, Pferde- oder Gärtenmotive. Gerade bei den letzteren beiden Genres lässt sich ablesen, wie das Sujet immer mehr in den Hintergrund rückt zugunsten einer Hervorhebung rein malerischer Belange. In seiner spontan wirkenden Arbeit «Polospieler in Jenischs Park» (1903) zeigt Liebermann diverse Bewegungsmomente von Pferd und Reiter nebeneinander. Die Dynamik verdankt sich Toulouse-Lautrecs schwungvollen beiden «Jockeys», die Liebermann für seine eigene Sammlung ankaufte. In dieser hochkarätigen Kollektion befanden sich mehr als fünfzehn Gemälde von Manet, Degas, Monet, Renoir, Pissarro, Cézanne und Toulouse-Lautrec. Und die Besucher dürfen sich jetzt schon auf den Herbst freuen, wenn diese dank der Nazi-Herrschaft in alle Winde verstreute Sammlung in der Wannsee-Villa rekonstruiert werden soll.

An Manet begeisterte Liebermann die perfekte «peinture», die er zu umschreiben suchte: «Er sucht nicht das sogenannte ›Malerische‹, sondern er fasst das Leben malerisch auf. Die höchste Aufgabe des malenden Künstlers.» Im Gespräch verwendet er für dieses schwer auszudrückende Phänomen den Terminus «Noblesse», die selbst Darstellungen kleinster Motive bedeutsam macht. So bringt Liebermann immer wieder Manets legendäres Spargelbündel, dessen stolzer Besitzer der Berliner war, als Essenz der Modernität bewundernd ins Spiel. Im Jahre 1885 ließ Emile Zola in seinem Künstlerroman «L’Œuvre» den Maler Lantier sagen: «Der Tag wird kommen, da eine einzige selbständig gemalte Karotte eine gewaltige Revolution verursachen wird.» Max Liebermann sollte später darauf entgegnen: «Der Satz, dass die gut gemalte Rübe besser sei als die schlecht gemalte Madonna, gehört bereits zum eisernen Bestand der modernen Ästhetik. Aber der Satz ist falsch; er müsste lauten: die gut gemalte Rübe ist ebenso gut wie eine gut gemalte Madonna» (1904).

«Max Liebermann und Frankreich» ist bis zum 12. August in der Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstraße 11, zu erleben. Der hervorragende Katalog kostet 29,95 €.