»Keiner verliert ungern«

Fußballliteratur im Weihnachtsangebot von faktisch bis fabulierend

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 3 Min.
Der vorweihnachtliche Sportbuchmarkt ist mit Blick auf die WM 2006 von Fußballtiteln aller Art geradezu überschwemmt. Die meisten sind chronologischer, erklärender oder witzelnder Art. Drei Titel seien für diese Sparte hier stellvertretend genannt:
Die Chronik des deutschen Fußballs - Spiele der Nationalmannschaften von 1908 bis heute nennt sich eigenwerbend »Offizielles Lizenzprodukt der FIFA WM 2006«. Was auch immer das heißen mag - eine wirklich abgewogene Chronik ist es jedenfalls nicht. Die DDR taucht zwar in der vielbebilderten Abfolge ab und an auch im Textteil auf, vor allem aber als lediglich statistisches Anhängsel.
Am Internet geschult, streng statistisch und erläuternd angelegt ist Ich sag dir alles über Fußball. Was zu bezweifeln ist. Hier gibt es beispielsweise »Fußball in Deutschland« und »Fußball in der DDR«. Also in der gleichen Diktion wie an gleicher Stelle »Fußball in Österreich« und »Fußball in der Schweiz«...
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Drittens ist da schließlich Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs, in der man alles notiert findet, was so aus Radio und Glotze an Sprachverirrungen rüberschwappt. Von Michael Ballack (»Keiner verliert ungern«) bis zu Rudi Völler (»Man darf über ihn jetzt nicht das Knie brechen«).
Kommen wir nun zu eher unikaten Sachen. Sehr hübschen Stoff liefert Ballhunger - Vom Mythos des brasilianischen Fußballs. Natürlich kennt man das alles in groben Zügen. Dennoch macht die schillernde brasilianische Kickerwelt immer wieder lesesüchtig. Zumal es mehr um Realität als um Mythos geht. Klasse das Kapitel über Futsal, die Kleinfeldfußballschule all der brasilianischen Stars.
Fouls und Schwalben im Spannungsfeld von Fußball und Politik nimmt sich Wichtig ist, wer hinten hält an. Eine kurzweilige Sammlung von Feuilleton, Interviews, Analysen und (auch hier offensichtlich unverzichtbar) Sprachglossen. Ein Text zum Verhältnis der Bundeskanzlerin zum Fußball wäre bei Nachauflage unverzichtbar.
Ein klasse Büchlein ist »Ich tat es für mein Land«. Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn schildert Vor-, Haupt- und Nachgeschichte der per Fax getürkten Ulk-Bestechungsaktion in Bezug auf sieben FIFA-Mitglieder im Sommer 2000 unmittelbar vor der Entscheidung über das WM-Land 2006. Eine geniale Eulenspiegelei mit tiefgreifendem Werbeeffekt für das Journal selbst. An einigen Stellen verzichtet der Autor allerdings aufs Augenzwinkern. Das legt den Schluss nahe, dass er vielleicht tatsächlich daran glaubt, die WM nach Deutschland geholt zu haben.
Wie das Ball-Geschäft wirklich läuft ist spannend unter dem etwas akademisch klingenden Titel Global Players - Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs nachzulesen. Die Aufsätze verlassen die ausgetretenen nationalen Erklärungsversuche des Phänomens Fußball und schaffen internationale Draufsicht. Die Autoren sind ausgewiesene Wissenschaftler, entweder aus der Sportecke oder stark fußballbelastet.
Was im Angebot fehlt, ist ein guter neuer Fußballroman. Literarisch fündig wird man überhaupt nur in Zeitschriften. So hat Hermann Kant die Erzählung Der Mann von Frau Lot exklusiv für konkret geschrieben. Ein neuerliches Meisterstück Kantscher Fabuliergabe. Held Jan G. steht als Ordner instruktionsgemäß immer mit dem Rücken zum Spielfeld. Auf Dauer eine traumatische Angelegenheit mit kollabierendem, aber durchaus erfrischendem Ausgang.


Chronik des deutschen Fußballs, Chronik Verlag, München, 395 S., 36 EUR.
Gerd Fischer/Jürgen Roth, Ballhunger, Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 284 S., 18 EUR.
Global Players, Brandes & Aspel/ Südwind, Frankfurt (Main), 280 S., 18 EUR.
Hermann Kant, Der Mann von Frau Lot, konkret, Heft 12, Dezember 2005, 4,80 EUR.
Martin Sonneborn, Ich tat es für mein Land, bombus, München, 125 S., 12,90 EUR.
Arnd Zeigler, Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs, Humboldt, Baden-Baden, 235 S., 8,90 EUR.
Ich sag dir alles - Fußball, Bertelsmann, Gütersloh, 398 S., 14,95 EUR.
Behr, Hettfleisch, Roth, Wichtig ist, wer hinten hält, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin, 283 S., 7,95 EUR.
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