Arme Reiche

Das Dresdner Hygiene-Museum lädt zur Kreuzfahrt auf der »MS Reichtum«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Reichen haben›s auch nicht leicht. Zum Beispiel können sie nicht einfach mal so ein Püllchen Perlwein leeren. Vielmehr muss die Upper Class zunächst Vokabeln pauken, bevor sie sich den edlen Schaumwein kredenzen lässt. Mehr als ein Dutzend spezieller Bezeichnungen sind zu verinnerlichen, um gesellschaftliche Fehltritte vermeiden und Flaschen genau in der Größe bestellen zu können, die dem eigenen Wohlstand angemessen ist. Hat die Firma satte Erfolgsprämien gezahlt, kommt ein »Melchisedech« auf den Tisch, eine Flasche, die 30 Liter fasst. Herrscht an der Börse Flaute, muss auch mal der drei Liter fassende »Jeroboam« reichen.

Welche intellektuellen Mühen damit verbunden sein können, wenn man viel Geld besitzt, kann der gewöhnliche Piccolo-Trinker derzeit in einer Sonderausstellung des Hygiene-Museums in Dresden erfahren. »Reichtum - mehr als genug« heißt die Schau. Das Haus, das sich als »Museum vom Menschen« versteht, widmet sich damit einer weiteren der, wie Direktor Klaus Vogel formuliert, »Energien und Antriebskräfte« für den Einzelnen und die Gesellschaft. Standen in früheren Ausstellungen Glück, Arbeit oder die Leidenschaften im Mittelpunkt, folgt nun die Triebkraft Reichtum.

Anders als etwa im Fall der Arbeit, die zwar gelegentlich als Plage, aber stets als ehrenwert gilt, handelt es sich beim Reichtum um einen ambivalenten Antrieb. Dass der Wunsch nach materiellem Wohlstand, womöglich gar Reichtum ein starkes Motiv für das menschliche Handeln ist, darf unterstellt werden. Zugleich gilt Reichtum immer auch als suspekt, ganz gleich, ob er ohne eigenes Zutun oder durch harte Arbeit erworben wurde. Eine Konsequenz ist, dass sich kaum jemand selbst als reich bezeichnet. Auf die Frage, ab welchem monatlichen Einkommen Reichtum beginnt, nennen Befragte im Durchschnitt das Vierfache ihres eigenen Gehalts.

Das Wechselspiel von Bewunderung und Misstrauen ist dabei keine neue Erscheinung. Vogel zitiert die antike Geschichte von König Midas, dem der Wunsch nach Wohlstand auf fatale Weise erfüllt wurde: Alles, was er berührte, wurde zu Gold. Auch in der christlichen Tradition gilt Reichtum als anrüchig: In der Bibel heißt es, eher ginge ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel käme. Die Botschaft ist klar: Wem es auf Erden zu gut geht, der hat dies später zu büßen.

Dieser Ambivalenz beim Blick auf Reichtum widmet sich die Dresdner Ausstellung ebenso wie der Frage, was Reichtum eigentlich ist. Zu klären versucht man das, indem der Besucher auf eine Reise mitgenommen wird, genauer: eine Kreuzfahrt. Solche Reisen galten lange als Sinnbild für Genuss und Verschwendung, für einen Luxus, den sich nur Menschen leisten können, die Geld im Überfluss besitzen. Sie schätzten das Schiff als perfekten Ort, um unter ihresgleichen und fern der unschönen Wirklichkeit zu bleiben.

Das Schiff, auf das Kurator Daniel Tyradellis einlädt, ist eines, das in Luxus schwelgt: Die »MS Reichtum« prunkt in ihren Gängen und Luxussuiten mit goldenen Geländern und schweren Teppichen - eher Queen Elizabeth II als AIDA. Der Rundgang führt von der Rezeption in den mondänen Speisesaal und auf das Sonnendeck, aber auch zur Brücke, zum Maschinenraum und in die Krankenstation. Die Räume wirken edel, aber nüchterner als in sonstigen Sonderausstellungen des Museums. Zwar finden sich Ausstellungsstücke wie die historischen Speisekarten berühmter Kreuzfahrtschiffe. Im Mittelpunkt, so Tyradellis, stünden aber nicht die Exponate, sondern die Inszenierung.

Die wiederum dient den Ausstellungsmachern als Kulisse und Vehikel, um eine Vielzahl von Fakten rund um das Thema Reichtum zu vermitteln - wobei man sich ausschließlich auf den materiellen Reichtum beschränkt hat. Formal nähert man sich dem Thema meist mit einem Mittel, das als inszenierte Infografik zu bezeichnen wäre; Tyradellis spricht von »dreidimensionalen Statistiken«. So illustrieren unterschiedlich große Schlüssel in der Rezeption die Vermögensverteilung in Deutschland; veranschaulichen mehr oder weniger gefüllte Sektgläser im Speisesaal die Höhe des nationalen Wohlstands in der Bundesrepublik von 1950 bis heute; verweist die Größe der Rettungsringe auf dem Sonnendeck auf das Ausmaß von Steuerhinterziehung. Vielfach wird auch der Versuch unternommen, die Zahlen untereinander in Beziehung zu setzen. Mithilfe von Fischen, die per Videoprojektion in den Pool auf dem Sonnendeck projiziert werden, erfährt der Besucher, dass sich die Kosten der Steuerhinterziehung - eines beliebten Mittels zur Wohlstandsmehrung - auf 1250 Euro je Bundesbürger belaufen, die des medial gern gegeißelten Hartz-IV-Missbrauchs hingegen auf 73 Cent pro Kopf.

Es sind also durchaus brisante Fragen, die in der Ausstellung angesprochen und angerissen werden - wobei sich die Schau selbst jeglicher Urteile enthält. Sie verstehe sich, sagt Museumsdirektor Vogel, als »Satire« und wolle die Phänomene dank Überspitzung »zur Kenntlichkeit entstellen«. Das gelingt teilweise gut, etwa in den Videofilmen, in denen der Schauspieler Martin Wuttke unterschiedliche Typen von Reichen verkörpert, denen man quasi durch das Bullauge ihrer Kabine beim Monologisieren zusehen kann. Neben einem Mäzen, dem großspurigen Schlagersänger oder dem im Wohlstand unglücklichen Rentner verkörpert Wuttke auch eine »Charity-Lady«, die der Ansicht ist, man solle »den Hungrigen ihren Hunger bewusst machen, indem man ihnen etwas vorisst und nichts abgibt«. Dann, fügt sie hinzu, »machen sie vielleicht endlich mal eine Revolution«.

Eine solche Revolution gilt manchen als probates Mittel, um eine als ungerecht empfundene Wohlstandsverteilung in der Gesellschaft zu korrigieren. Eine weniger radikale Methode sind Reichen- oder Vermögenssteuern, wie sie vor der Bundestagswahl und nach dem Fall Hoeneß derzeit verstärkt diskutiert werden. Ob derlei Instrumente zur Umverteilung wirksam sind oder ob und mit welchem Ziel sie eingesetzt werden sollten - dazu bezieht die Ausstellung keine Position. Auf der Brücke, also der Kommando- und Steuerungszentrale, werden die möglichen Regulative lediglich aufgeführt - bis hin zu gesellschaftlichen Modellen wie dem Sozialismus -, die eine »Abkehr vom Traum des individuellen Reichtums« zur Grundlage hätten. Diese Vision, wird unter Verweis auf die jüngere Geschichte jedoch angemerkt, habe »bis auf Weiteres nicht genügend Attraktivität« bewiesen. Ob eine Gesellschaft attraktiver ist, in der jeder 100. Bürger Millionär ist und das ärmste Fünftel nur Schulden hat - das darf man sich nach der Fahrt auf der »MS Reichtum« freilich auch fragen.

Reichtum - mehr als genug. Bis 10. November im Dresdner Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, täglich außer Montag 10-18 Uhr, Eintritt 7/3 €.

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