Die andere Sicht

Shadi Ghadirian, Fotografin

  • Lesedauer: 3 Min.

Das Spinnennetz spannt sich wie ein Fadenkreuz vor der vergitterten Dachluke. Fahles Licht fällt in ein Verlies, drinnen eine Frau. Schwarz-Weiß-Fotos von Shadi Ghadirian wie dieses bedürfen keiner Bildunterschriften. Die Assoziationen für den Betrachter liegen nah genug. Man muss sie nicht simplifizieren, indem man sie ausspricht. Sie werden auch so wohlverstanden, ob in Teheran, der Stadt, in der die Bildkünstlerin 1974 geboren wurde, in Damaskus oder Kuwait oder eben Berlin, wo sie im Januar am Koppenplatz in der Galerie Podbielski Contemporary ausstellte.

Ghadirians Themen sind Frauen aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert, wo sie mit altem Bildmaterial arbeitet, aber genauso ganz aktuelle. Im Gedächtnis des Betrachters bleiben ausdrucksstarke Gesichter und intensive Licht-Schatten-Spiele. Berühmt ist Ghadirians »Like every day«-(Wie jeden Tag)-Serie, in der sie, die selbst seit 2000 verheiratet ist, das Leben iranischer Ehefrauen versinnbildlicht.

Seit 1998 gehen ihre persönlichen Ausstellungen von der heimischen Seidenstraßen- und der Golestan-Galerie auch auf Weltreise - in die Saatchi Gallery in London, das Centre Georges Pompidou in Paris, die Fotobiennale in Moskau, nach Barcelona, Mumbai ...

Die Besinnung auf bestimmte geschichtliche Epochen ihres Landes und die Rolle, die die iranische Frau darin spielte oder zu spielen hatte, nimmt großen Raum in ihren Schaffen ein. Doch können ihre Schwarz-Weiß-Fotos helfen, Schwarz-Weiß-Sichten auf das Land zu vermeiden. Sie lassen ahnen, dass das Alltagsleben des Landes Produkt einer vieltausendjährigen Kultur ist, deren Momentaufnahmen den fremden Beobachter erstaunen mögen, ihm aber zugleich einen gelassenen Umgang damit anzeigen. Shadi Ghadirians Fotos sind keine Plakate. Und da ist auch immer wieder das »Madame-Butterfly-Syndrom« als Sinnbild des Unverstandenseins. Dass sie künstlerische Absichten hat, darf man unterstellen, welche dies sind, liegt im Auge des Betrachters. Ludwig Borchardts legendäre Notiz kommt einem in den Sinn: Nachdem er vor 100 Jahren die berühmte Nofretete ausgegraben hatte, schrieb er: »Beschreiben nutzt nichts - ansehen.«

Das nicht zuletzt, weil ihre Bilder das Traditionelle zeigen, ihm aber das Jenseitige nehmen; es attackieren und doch eine Brücke in die Gegenwart lassen. Sie tut das mit Augenzwinkern - bei der Iranerin mit traditionellem Gewand und Kofferradio auf der Schulter oder der Vollverschleierten auf dem Mountainbike, mit Tschador und Bodenstaubsauger.

In der Islamischen Republik ist das bereits ein weiter Ausflug in die Politik. Wir haben Shadi Ghadirian gefragt, ob sie mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten bestimmte Wünsche und Hoffnungen verbindet. »Ja, die habe ich«, antwortete sie uns zu Wochenbeginn. »Ich glaube, dass mein Land einen Wechsel braucht, und meine Wünsche und Hoffnungen summieren sich in einem Wort: Frieden. Das meine ich weltumspannend, nicht auf Iran bezogen Ich sehe die ganze Welt als ein Land.«

Roland Etzel

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