Eigenständiges Leben gewünscht

Friedrich-Ebert-Stiftung drängt auf weitere Pflegereform

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein neues Konzept beweist vor allem eines: Im Pflegebereich fehlt es an allen Ecken und Enden - und nicht nur an Geld.

Die Reihe der Mahner zu den Versäumnissen der Pflegepolitik reißt nicht ab: Jürgen Gohde, seit 2007 Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, erarbeitete in den vergangenen zwölf Monaten mit weiteren Autoren im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung ein umsetzungsfähiges Gesamtkonzept zur Pflege. Vorgestellt wurde es am Montag in Berlin. Am Papier wirkten 25 Pflegeexperten u. a. aus Wissenschaft, Wohlfahrts- und Sozialverbänden, Gewerkschaften, Kommunal- und Landesverwaltungen und Selbsthilfegruppen mit - eben diese Gruppen waren auch im Expertenbeirat der schwarzgelben Bundesregierung vertreten.

Laut Gohde dauert eine Demenzerkrankung im Durchschnitt sieben Jahre, ein halbes Jahr davon verbringt der Betroffene im Pflegeheim. Wäre der auf Demenzkranke erweiterte Pflegebegriff, der bereits 2009 vorlag, damals umgesetzt worden, hätte schon eine Generation von Kranken etwas davon gehabt: »So aber sind die vier vergangenen Jahre für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung verlorene Jahre.« Von 2007 bis 2011 war Gohde auch Vorsitzender des Pflegebeirates der Bundesregierung. Dort ging es um einen neuen Begriff von Pflegebedürftigkeit, der bis heute nicht vollständig gesetzlich geregelt und umgesetzt ist. Von seiner Funktion trat Gohde 2011 zurück, auch weil er keinen politischen Willen zur Finanzierung sah.

Jetzt, kurz vor Beginn einer neuen Legislaturperiode, erklärte der Theologe, komme niemand mehr um den neuen Begriff herum. Die Diskussion lasse sich aber nicht auf die bisherigen Leistungen der entsprechenden Versicherung reduzieren. Es gehe um »Wohnen, Beteiligung und Zufriedenheit«. Die Orientierung sollte dahin gehen, dass mit guter Pflege Selbstständigkeit zurückgewonnen wird und Menschen solange wie möglich in ihrem Zuhause leben können. Nicht nur die Kommunen müssten stärker ihrer Verantwortung dafür gerecht werden, die Infrastruktur sei erst noch zu schaffen - vor allem fehlten altersgerechte Wohnungen.

Laut Gohde sind seit 2005 keine neuen Plätze in der stationären Pflege dazugekommen. Passende Wohnungen fehlen aber fast überall, darauf verweist eine andere Zahl: Fast 60 Prozent aller Zuweisungen in die stationäre Pflege erfolgen direkt aus Krankenhäusern. Die nötigen Investitionen in den Wohnungen entsprächen mindestens jenen, die in jüngster Zeit für die Tagespflege der Vorschulkinder nötig waren. Und es würde mindestens zehn Jahre dauern, die Neu- und Umbauten zu bewältigen.

Zur Umsetzung des Konzepts müsse nicht nur der erweiterte Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden, sondern auch einige Sozialgesetzbücher geändert werden. Hinzu kämen die Stärkung der Pflegeberufe und die Unterstützung der Angehörigen. Laut den Experten gibt es fast keinen Bereich, der unverändert bleiben kann. Angesichts dessen scheint die von Gohde nur zögernd genannte nötige Erhöhung des Beitragssatzes der Pflegeversicherung von 0,5 Prozent kaum ausreichend. Wenn das Geld nicht versickern solle, dürfe es nur in drei Bereichen ausgegeben werden: für bessere Löhne der Beschäftigten, für die Begleitung der Angehörigen und für den Infrastrukturausbau.

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