Mittel der politischen Zensur?

FAKTENcheck: Gesetz gegen Internet-Piraten in Russland

  • Axel Eichholz
  • Lesedauer: 2 Min.

Am 1. August ist in Russland das Gesetz gegen Internet-Piraterie in Kraft getreten. Offiziell geht es darum, Internetseiten und Netze, die illegal Videos und Filme anbieten, künftig zu blockieren. Die Verfasser des Gesetzes wollen sich aber schon im Herbst auch Bücher, Texte, Musik und Software vornehmen. Damit wird die Befürchtung geweckt, dass das Antipiratengesetz als Mittel der politischen Zensur missbraucht werden kann, denn Texte sind mit Politik oft identisch.

Die Inhaber der Urheberrechte oder deren Vertreter müssen als erstes gegen aufgedeckte Piraterieakte beim Moskauer Stadtgericht klagen. Dieses kann die Sperrung der im Internet angebotenen Filme bis zur Gerichtsverhandlung anordnen. Der Kläger kann den Gerichtsbeschluss bei der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor einreichen, die ihn praktisch umsetzen muss. Wird der Film oder der dazu führende Link nicht binnen drei Tagen von der Webseite entfernt, so wird diese vorübergehend gesperrt. Falls die Illegalität des Angebots später vor Gericht nicht bewiesen wird, so wird die Sperre aufgehoben.

Das Antipiratengesetz löste einen Sturm der Empörung aus. Namhafte Internetgesellschaften wie Google, Mail.ru, Ozon.ru, Yandex und viele andere protestierten in einem offenen Brief an die russische Regierung. Das erklärte Ziel der Pirateriebekämpfung werde in dieser Form nie erreicht, heißt es darin. Technisch ließen sich die Sperren ohne weiteres umgehen. Das Gesetz werde vielmehr die Arbeit legaler Internet-Ressourcen, vor allem der Medien, spürbar erschweren. Denkbare Gerichtsfehler würden außerdem das Investitionsklima beeinträchtigen und dazu führen, dass russische Internet-Gesellschaften ins Ausland abwandern, heißt es weiter.

Auch Internetteilnehmer sind aufgebracht. Ende Juli kam es zu Protestaktionen in Moskau, Sankt Petersburg und einem Dutzend weiterer Städte. Eine Unterschriftenkampagne gegen das Gesetz läuft im Internet. Binnen einem Monat kamen 57 000 Unterschriften zusammen. Bei 100 000 Unterzeichnern wird die Duma reagieren müssen. Rund 1600 Webseiten traten in den vergangenen Tagen in einen Streik. Wer sie anwählte, fand vor dem schwarzen Hintergrund folgenden Text: »Die Seite wurde auf behördliche Weisung gesperrt. Bald werden sie diese Meldung an Stelle ihrer Lieblingsseiten finden.«

Das Gesetz mache unweigerlich böses Blut, sagt der Politologe Konstantin Kalatschew. Heute habe die Hälfte aller Russen einen Internetanschluss. 78 Prozent von ihnen schauten sich kostenlos gute Filme im Internet an, die sie mit der tristen Wirklichkeit versöhnen. Bisher habe eine stillschweigende Vereinbarung zwischen ihnen und der Landesführung bestanden: »Wir leben so, wie wir wollen, und ihr regiert uns so, wie es euch passt.« Nun breche die Regierung einseitig diese Vereinbarung, was äußerst gefährlich sei.

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