Werbung

Welch teuflischer Genuss

Die Seemänner des Rejtö Jenö (alias P. Howard)

  • Thomas Bruhn
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Abitur lag hinter und ein Sommer am Strand von Dierhagen vor mir. Am Kiosk gab›s das ND, die Wasserprawda, Troll und Practic. Eulenspiegel und Magazin waren ausverkauft. Ich schlich um den Glaskasten, um von hinten einen Blick ins Fach unter dem Ladentisch werfen zu können. Fehlanzeige, die Verkäuferin thronte breit über einem Hocker und barg sicher jedes Geheimnis. Neben der Tür jedoch gilbten ein paar Taschenbücher: Kronenkrimis, nur echt mit der Eule. Der Autor offenbar ein Engländer: P. Howard. Unbekannt. Aber Eulenspiegelverlag - ich überlegte nicht lange und nahm sie mit.

Fortan konnte man mich ohne Schwierigkeiten am Strand finden, man musste nur dem lautesten Lachen nachgehen. Ich war in »Das vierzehnkarätige Auto« und »Der Blonde Hurrikan« vertieft. Die Geschichten waren von der Art, dass ich nicht bemerkte, wie grandios die Sonne mir den Hintern versengte. Schon nach den ersten Sätzen wunderte ich mich, wie ein Engländer auf die Idee gekommen war, eine Figur zu erfinden, die Iwan Gortschew hieß; nach Schluss der Lektüre schaute ich ins Impressum: Aus dem Ungarischen von Henriette Schade-Engel.

Nach der Kehrtwende und den ersten Ahnungen vom westdeutschen Buchmarkt - wobei die beiden Teile des Kompositums nicht zusammen passen: Buch und Markt schließen einander aus - war klar, daß viele Autoren, Howard war deren einer, keinen Verleger mehr finden würden. Umso mehr überraschte es mich, als ich eines Tages beim Schlendern vor dem Schaufenster eines Verlages stand und Romane von ihm sah.

Jenö Reich wurde 1905 in Budapest geboren. In der antisemitisch geprägten Atmosphäre der zwanziger Jahre änderte er seinen Namen, wie so viele andere auch. Fortan nannte er sich Jenö Rejtö. Nach Abitur und abgebrochener Schauspielausbildung zog er fast zehn Jahre kreuz und quer als Hansdampf durch alle Gassen Europas, arbeitete als Heringsfischer, Parfümagent, Eintänzer, schloss sich einem Wanderzirkus an und verdingte sich in der Fremdenlegion.

Zurück in Budapest, setzte er sich ins Café Japan, schrieb vor skurrilen Einfällen, Witz und Ironie strotzende Romane und zog die Abenteuerliteratur dieser Zeit durch den Kakao, dass es eine Art hatte. Sucht man Vergleichbares, fällt einem zuallererst Cervantes ein, der mit Don Quijote die Ritterepen seiner Zeit persiflierte.

Rejtös Verlag verpasste dem Autor einen englischen Namen, und so war das Versteckspiel, so sollte man meinen, perfekt. Dem war nicht so. Als die Deutschen Ungarn besetzten, musste er, wie alle anderen Juden auch, ein Jahr Arbeitsdienst leisten. Wieder zurück, krakelten die Pfeilkreuzler in der Zeitung, dass der König der Schundliteratur wieder im Café Japan sitze. Diese Denunziation überlebte er nicht. Die Faschisten deportierten ihn in ein Arbeitslager in der Ukraine, wo er am 1. Januar 1943, geschwächt und an Typhus erkrankt, erfror.

Rejtö hinterließ ein Werk von ungefähr sechzig Romanen, die heute jeder Ungar kennt und die zur Nationalliteratur gezählt werden. Redewendungen aus den Romanen sind in die Alltagssprache übergegangen, was überhaupt die höchste Auszeichnung für einen Schriftsteller darstellt. Das Wort vom »schmutzigen Fred« ist in Ungarn so gebräuchlich wie bei uns »des Pudels Kern« oder »der Mohr, der seine Arbeit getan hat«.

Der Elfenbeinverlag hat es sich auf die Fahne geschrieben, Texte zu veröffentlichen, die wegen ihrer außerordentlichen literarischen Qualität und ihrer Herkunft aus Ost- und Südosteuropa großen Verlagen zu wenig Rendite versprechen. Seit 2004 kümmert sich der kleine Verlag um das Werk des großen Rejtö Jenö. Bisher erschienen unter seinem Schriftstellernamen P. Howard drei zum ersten Mal ins Deutsche übertragene Romane.

Es ist egal, ob Sie mit der Honolulu Star nach Singapur reisen, ob sie einen Panzerkreuzer stehlen, um in Burma einen Offizier aus den Klauen der Fremdenlegion zu befreien oder ob Sie wegen einer gestohlenen Hose auf Expedition in den Senegal gehen - ein spannendes Vergnügen wird es allemal sein.

Was unterscheidet die Geschichten Rejtös von denen anderer Autoren? Rejtö kennt die Dinge, von denen er schreibt; er benutzt das Milieu, die Landschaften, die Menschen, die Ereignisse, um seine hinreißende Abenteuergeschichten - getreu dem Diktum Thomas Manns, dass Phantasie nicht heißt, sich etwas auszudenken, sondern sich aus den Dingen etwas zu machen - zu erzählen.

Warum diese Romane wenig über die Grenzen Ungarns hinaus gelangt sind, mag daran liegen, dass der Witz oftmals zu bissig und sarkastisch für unser Gemüt daherkommt. Nicht umsonst sagt man in Ungarn: Wer einen Ungarn zum Freund hat, braucht keine Feinde. Und es mag daran liegen, dass es eines besonderen Talents bedarf, diese Texte in eine andere Sprache zu übersetzen. Das ist der kleine Umstand bei den Seemännern, die Übersetzungen bleiben hinter denen von Schade-Engel zurück. Das Deutsch ist über weite Strecken passabel und dann kommen, wie aus heiterem Himmel, Absätze, die hätten mehr Sorgfalt vertragen: Da hakelt eine Formulierung und hier hängt ein Bild schief. Nichtsdestotrotz, ein teuflischer Genuss und ein großartiges Vergnügen ist die Lektüre allemal.

Seine Mörder haben ihm damals ungewollt den Titel verliehen, der ihm heute zur Ehre gereichen sollte: Der König der Schundliteratur. Was für ein König! Welch wunderbare Literatur!

P. Howard: »Ein Seemann von Welt«, »Ein Seemann und ein Gentleman« und »Ein Seemann in der Fremdenlegion«, Übersetzt von Vilmos Czernohorszky. Elfenbein Verlag, je 22 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal