Mit der Multitude zu neuen Ufern

Das neue revolutionäre Subjekt der Vielen

  • Lesedauer: 2 Min.

Eine linke Theorie ohne ein Konzept, wie man die Gesellschaft verändern kann, ist unvollständig. Nachdem Antonio Negri und Michael Hardt um die Jahrtausendwende die Zustandsdiagnose »Empire« veröffentlichten, legten sie vier Jahr später »Multitude« nach. Sie nannten ihr Buch nach dem, was sie als das neue revolutionäre Subjekt im 21. Jahrhundert identifizierten, nämlich die »Bewegung der Vielen«.

Hinter dem Begriff der Multitude steckt noch immer ein altes, von dem Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel inspiriertes, marxistische Konzept. Es ist der Gedanke, dass es ein handelndes Subjekt jenseits von konkreten Individuen gibt, das die Widersprüche des Kapitalismus aufhebt und zu einer neuen Gesellschaftsform führt. War es beim Idealisten Hegel noch der »Weltgeist«, der die Geschicke der Geschichte bestimmt, so sollte nach Ansicht traditioneller Marxisten das industrielle Proletariat den Kapitalismus stürzen.

Mit diesem Konzept brachen Hardt und Negri mit ihrer Multitude. Dies brachte neben viel Zustimmung auch viel Kritik. Denn was die Multitude genau ausmacht, ist zunächst schwer zu fassen. »Die Autoren grenzen zwar ihre Erfindung von allen möglichen anderen Konzepten wie Volk, Masse, Nation und Proletariat ab, ersetzen diese jedoch nicht adäquat, sondern häufen Eigenschaften und Absichten, die angeblich die Multitude (oder auch Menge) charakterisieren sollen«, hieß es etwa in einer Rezension in der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung einst herausgegebenen Zeitschrift »Utopie kreativ«.

Doch gegen den Vorwurf, dass sie mit ihrem neuen Begriff eine Abkehr von der Arbeiterklasse betreiben, wehrt sich Michael Hardt: »Tony Negri und ich wollen damit nicht die Arbeiterklasse negieren. Wir benutzen den Begriff, um die Arbeiterklasse neu zu denken«, erklärt Hardt im Interview mit dem »nd«. So wenden sich Hardt und Negri gegen das alte Bild, dass eine besondere Ausformung der Arbeiterklasse eine Vorreiterposition im revolutionären Prozess haben soll. »Wir müssen sie alle in ihrer Vielfalt organisieren«, so Hardt weiter. Es müssten Allianzen geschaffen werden, »die die verschiedenen Formen von Arbeit zusammen bringen«.

Was Negri und Hardt mit der Multitude meinen, wird am deutlichsten, wenn man betrachtet, in was für einer Zeit sie den Begriff geschaffen haben. Es war die Zeit der großen Proteste gegen die Globalisierung, in der die unterschiedlichsten politischen Akteure zusammen kamen. Und auch bei den heutigen Platzbesetzungen spielt das klassische Proletariat nur eine untergeordnete Rolle.

Simon Poelchau

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