nd-aktuell.de / 12.08.2013 / Politik / Seite 5

Systemvergleich: Wie viel kostet das Wohnen?

Teil I der nd-Serie zur Bundestagswahl

Kurt Stenger
Die Parteien bemühen sich redlich, zur Bundestagswahl ihre programmatische Unverwechselbarkeit zu betonen. Zugleich scheinen einige Parteien sich in den Programmen der jeweils linken Nachbarn zu bedienen – die Union bei der SPD, die SPD bei der Linkspartei. Welche Antworten die Bundestagsparteien auf umstrittenen politischen Themenfeldern geben, untersucht in ausgewählten Bereichen die nd-Serie »Systemvergleich«. Heute: Miete und Wohnen.

Die Kanzlerin suchte sich den Deutschen Verbrauchertag Anfang Juni aus, um ihren Vorstoß einer Begrenzung von Preissteigerungen bei Neuvermietungen zu lancieren. Oberbürgermeister hätten sich dafür stark gemacht. »Genau aus diesem Grund haben wir uns auch dazu entschlossen, dies in unser Wahlprogramm aufzunehmen«, sagte Angela Merkel unter zustimmendem Nicken der anwesenden Verbraucherschützer.

Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht. Von dem eigenmächtigen Vorgehen der Kanzlerin fühlten sich wieder mal viele Unionspolitiker vor den Kopf gestoßen. Man solle das eigene konservative Profil schärfen, statt »SPD-Ideen« zu übernehmen, so die Kritik. Im Präsidium wurde nach langen Debatten ein mauer Kompromiss abgesegnet: Den Ländern soll es erlaubt werden, Mietpreisbremsen regional einzuführen.

Trotz des halben Rückziehers – die Kanzlerin bewies wieder ihr Gespür dafür, wann ein Problem so groß ist, dass sich ihm die große Politik gerade in Wahlkampfzeiten nicht mehr verschließen kann. Die stark gestiegenen Mietpreise ärgern längst nicht mehr nur Leute, die in begehrten innerstädtischen Gegenden der Millionenstädte eine Wohnung suchen. Vielerorts sind die Mieten wegen knappen Wohnraums und spekulativer Käufe privater Investoren stark gestiegen. Nach einer Auswertung des Webportals »Immobilienscout24« verzeichnete in den vergangenen fünf Jahren die bayrische Mini-Großstadt Ingolstadt den größten Mietpreisanstieg (plus 33,5 Prozent). Nicht nur in Szenevierteln wie Berlin-Kreuzberg oder Hamburg-Altona kämpfen Bürgerinitiativen für bezahlbaren Wohnraum. Bürgermeister werden in Berlin vorstellig; ein ungewöhnliches Bündnis aus Mietervereinigungen, Bauindustrieverbänden, Wohnungswirtschaft und Gewerkschaft macht Lobbydruck auf die Politik, mit staatlichem Sozialwohnungsbau die mietensteigernde Knappheit zu beseitigen.

Trotz erheblicher Unterschiede im Detail finden sich die Mietpreisbremse und die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien wieder. Auf Fundamentalopposition setzt nur die FDP: Der freie Markt und Privateigentum sollen es richten. Bei den Liberalen taucht die Wohnthematik im Programm erstmals bei Maßnahmen gegen Mietnomaden auf. Ähnliche Skurrilitäten finden sich auch bei der Konkurrenz: Die Union macht sich vor allem Sorgen wegen der steigenden Zahl von Wohnungseinbrüchen – daher soll »der Fahndungsdruck erhöht« und sollen Aufwendungen für die Sicherung der eigenen Wohnung »steuerlich begünstigt« werden. Die SPD legt ein Aktionsprogramm vor, so als würde sie nach der Wahl die Regierung bilden, den Grünen schwebt das »grün Wohnen« vor und die LINKE gibt ein staatliches Planziel vor: 150 000 neue Sozialwohnungen pro Jahr.

Hieran wird sichtbar, was Parteienforscher meinen – dass Wahlprogramme immer stärker der Stiftung kollektiver Identität dienen. Daher greifen Parteien auch zu neuen, netzbasierten Formen der Mitgliederbeteiligung bei der Formulierung der Wahlprogramme. Es geht also weniger um konkrete Versprechen, die nach der Wahl sofort umgesetzt werden. Im Politikfeld Wohnen kommt hinzu, dass die Problematik sehr viel komplexer ist, als es in der zugespitzten Debatte um Mietpreisbremsen erscheinen mag. Es geht auch um Veränderungen in der Finanzausstattung von Kommunen, um die steigende Nachfrage nach altersgerechten Wohnungen und den Boom von Single-Haushalten, um den ökologisch schädlichen Flächenverbrauch beim Bau neuer Wohnungen oder um das Problem der wegen massiven Leerstands von Häusern verfallenden Dörfer.

Wahlen werden hier nicht viel ändern. Zumal die später regierende Koalition bestenfalls Schnittmengen der Programme umsetzt. Wie ernst es der Kanzlerin mit ihrem Mietenvorstoß war, wollten die Grünen austesten: Sie brachten diesen als Antrag in den Bundestag ein – dagegen stimmten FDP – und CDU/CSU.