Stets auf der Suche nach dem Sinn

Der Maler Ronald Paris vollendet am Montag sein 80. Lebensjahr - Sein Lebenswerk hat er noch nicht vollendet

Er will Betroffenheit auslösen mit seinen Bildern. Den Betrachter nachdenklich stimmen und dessen Wahrnehmung schärfen. Denn: »Wahre Kunst bemüht sich ebenso wie die Philosophie, den Menschen bei der Suche nach dem Sinn seines Daseins, nach seiner Herkunft und nach dem Wohin seines Weges zu unterstützen, ihm zu helfen, die Welt zu verstehen und zu deuten, zu erkennen und gegebenenfalls oder auch notwendigerweise zu verändern. Der Künstler will - wie der Philosoph - Mut machen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, an allem zu zweifeln und sich so sukzessive der Wahrheit anzunähern«, sagt Ronald Paris im »nd«-Gespräch. Der Mann mit dem Prophetenbart versteht sich nicht als allwissender Welterklärer und Weltverbesserer. Wohl aber will er mit seiner Kunst etwas bewegen und wäre beglückt, wenn er durch sein Tun ein Quäntchen dazu beitragen könnte, dass es auf Erden sich für alle Menschen friedlicher, freundlicher und fröhlicher leben ließe.

»Ich war und bin kein Apologet des Bestehenden. Dafür bin ich nicht zu haben«, sagt der Mann, der mit Robert Havemann und Wolf Biermann befreundet war und selbst einige Blessuren in der DDR erlitt, ohne sich darob heute als Dissident zu stilisieren. Selbst an seinem monumentalen Wandbild »Lob des Kommunismus« (1969) krittelten Parteifunktionäre: »Unsere Arbeiter brauchen nicht mehr barfuß zu gehen.« Und zu ausgelassen erschienen jenen die lebenslustigen Bauern und Bäuerinnen seines Triptychons »Dorffestspiele in Wartenberg« (1961). Sein Porträt von Ernst Busch (1970) verschwand gar eines Tages nach heftigster Kritik spurlos, verschollen bis heute, offenbar vernichtet - weil es die Sänger- und Schauspielerikone angeblich herabgewürdigt habe.

Paris ließ sich glücklicherweise durch derart banale und dumm-dreiste Interventionen nicht irritieren, sich nicht von seinem Weg abbringen. Er blieb seinen Überzeugungen treu: Kunst muss wahr und wahrhaftig sein. Und der Künstler steht im Dienst am Volke. L›art pour l‹art, Kunst nur um der Kunst Willen, ist sein Ding nicht. So schuf Paris denn auch zahlreiche Werke für den öffentlichen Raum: für den VEB Sternradio Berlin, die Brecht-Schule in Schwedt, das Kinder-Reha-Klinikum in Berlin-Buch, eine Brunnenwand im Stadtzentrum von Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, das Wandbild »Von der Verantwortung des Menschen« in Rostock, »Triumph des Todes - Triumph des Lebens« für das Theater in Schwedt, »Marsyas und Apollon« für das Gewandhaus Leipzig und »Odysseus« für die Magdeburger Konzerthalle und und und. Und er malte ein Altarbild für die Trinitatiskirche in Sondershausen, jener Stadt in Thüringen, wo der Künstler heute vor 80 Jahren das Licht der Welt erblickte. Es ist eine Kriegsanklage und ein Zeugnis hoffnungsvollen Neubeginns.

Christliche Motive sind in seinem Werk eher seltener zu finden. Die griechische Mythologie hingegen ist ihm immer wieder Quell der Inspiration. Sisyphos, Prometheus und Ikarus, Iphigenie, Achill und Kassandra - sie sind menschlich, allzu menschlich, vereinen Stolz, Mut und Übermut, Neugier und Forscherdrang, Furcht und Zweifel, Abenteuerlust und Kriegswahn, Zerstörungswut wie Leib- und Seelenqual. Daraus webte Paris Gemälde von dramatischer Spannung und großer Gestik. Vielleicht ein Erbe des Vaters, des Theaterschauspielers. Der Knabe Paris stand früh an der Seite seines Erzeugers auf der Bühne. Und als Student durfte er Proben von Brechts Berliner Ensemble zeichnend miterleben. Von seiner Mutter, einer Weißnäherin, mag Paris wiederum die Bodenständigkeit und Nähe zu den Nöten der redlich Schaffenden und Strebenden geerbt haben.

Wie auch immer, sein »Handwerk« hat er noch ordentlich und solide, von der Pike auf gelernt - bei exzellenten Lehrern mit großen Namen: Kurt Robbel, Arno Mohr, Bert Heller, Gabriele Mucchi und Otto Nagel, um nur einige zu nennen. Paris schätzt die unterschiedlichsten Traditionen seiner Zunft, die er zu einer neuen harmonischen Einheit zu bündeln versteht. Er lässt sich neugierig auf Neues ein, experimentiert mit Farben und Formen, konträren Kompositionen und Stilen, erfindet sich stets neu als Künstler. In seinem Œuvre finden sich hauchzarte Aquarelle wie kraftvolle Grafiken. Paris beherrscht die ganze Klaviatur seiner Muse, das Malen in feiner wie grober Manier.

Eigentlich ist er eher der Gegenständlichkeit verhaftet, der genauen, detailgetreuen Beschreibung von Mensch und Natur, jedoch ohne diese lediglich zu kopieren. Er will in deren Wesen eindringen, ihnen ihre Geheimnisse entlocken, sehen und festhalten, was sich oberflächlichem Blick entzieht. Gern und leidenschaftlich unternimmt er Ausflüge in den Expressionsmus und Impressionismus. Schnell und flüssig aufgetragene Farbflecken, die sich zu einem beeindruckenden, Bewunderung erheischenden Landschaftsbild fügen. Oder reliefartige Pinselstriche, die kantige Klippen und schäumende Meeresgischt noch sinnlicher erlebbar machen und den Betrachter verführen, mit den Fingern über das Bild zu gleiten, es auch zu ertasten. Indes, Respekt vor dem Werk verbannt die Arme verschränkt hinterm Rücken.

Scharfe Beobachtungsgabe und Instinkt für die Unverwechselbarkeit eines Augenblicks ist das Markenzeichen des Ronald Paris, der jüngst mit dem Ehrenpreis des brandenburgischen Ministerpräsidenten für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Obwohl dieses längst noch nicht vollendet ist. Die Ehrung nahm im Auftrag des scheidenden Ministerpräsidenten Matthias Platzeck Kultusministerin Sabine Kunst (nomen est omen?) vor. »Paris ist ein Künstler, dessen Werke niemanden kalt lassen«, versicherte sie. Und pries ihn als einen Maler, der »etwas Besonderes geleistet hat und auch in der Gegenwart leistet«. Tatsächlich entstehen fast täglich neue Bilder im Atelier des Meisters in Rangsdorf bei Berlin. Und wenn er auf Reisen ist, sei es auf Sizilien oder in Spanien, in Italien oder Indien, ruht die Hand auch nicht. Er hat stets seinen Skizzenblock bei sich, in dem er Eindrücke von Landschaften, Städten, Dörfern und Menschen verewigt, um sie später zu Bilderwelten zu komponieren. Fast im Monatsrhythmus eröffnete Paris allein in diesem Jahr Ausstellungen landauf, landab. Nicht nur Retrospektiven.

Studiert hat der Absolvent der Jenenser Arbeiter-und-Bauern-Fakultät an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee - Hauptfach: Wandmalerei. Seit 1959 freischaffend tätig, war er Anfang der 60er Jahre Meisterschüler bei Otto Nagel, der nur einen Tag Vorsitzender des Reichsverbandes der Bildenden Künstler Deutschlands war - nach seiner Wahl 1933 wurde der Antifaschist von den Nazis sogleich wieder abgesetzt und drei Jahre später ins KZ Sachsenhausen gesperrt. Paris ist dankbar, bei antifaschistischen Künstlern in die Schule gegangen und mit ihnen befreundet gewesen zu sein.

Ja, er hatte Hoffnungen in die DDR als ein neues, besseres Deutschland gesetzt. Im Wendeherbst 1989 gehörte er zu den euphorischen Mitorganisatoren der Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz für einen reformierten Sozialismus. Alsbald war er ernüchtert - angesichts der Vergeblichkeit und Vergänglichkeit dieser Hoffnung. Er verfiel jedoch nicht der Resignation. Denn der Malerphilosoph weiß, die Zeitläufte verbürgen immer neue, überraschende Wendungen und Wandlungen. Nichts ist ewig.

Von 1993 bis 1999 hat Paris eine Professur an der Burg Giebichenstein, der Kunsthochschule in Halle, wahrgenommen, wo er weitergab, was er seinen Lehrern verdankte. Und dazu gehörte zuvörderst, das »Handwerk« ordentlich und solide erlernen. Um sodann eigene Kreativität zu entfalten, Originalität und Authentizität zu gewinnen.

Die Frage, welches seiner Bilder ihm das liebste ist, vermag der Maler nicht zu beantworten. Verständlich. Es sind alle seine Kinder, die ihn irgendwann verlassen haben, in die Welt hinauszogen und sogar in die berühmte Eremitage Eingang fanden. Auch jenen, die seine Bilder kennen, dürfte die Wahl des beeindruckendsten oder wirkungsmächtigsten eine Qual sein. Nun, vielleicht ist eines seiner schönsten Stillleben jenes, das eine Briefmarke der DDR zierte: »Sonnenblumen und Quitten« (1961).

Dem Jubilar sei gewünscht, in Alter und Schaffenskraft seinem Lehrer und Freund, dem Italiener Gabriele Mucci, nachzueifern, der stolze 102 Jahre alt wurde und bis zuletzt zeichnete und malte. Es dürfen natürlich, lieber Ronald Paris, auch ein paar Lebensjahre mehr sein.

Ronald Paris/Karlen Vesper: Wahr und wahrhaftig. neues deutschland/Das neue Berlin. 248 S., geb., 18,95 €; zu bestellen über buecherservice@nd-online.de oder Tel.: 030/29 78 1777.

Lebenswerke - Paris u. a. Ehrenpreisträger des brandenburgischen Kunstpreises, Ausstellung im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, bis 6. Oktober

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