Strafe auch für Täter der Wehrmacht

Ulrich Sander über die schützende Hand der deutschen Justiz

  • Ulrich Sander
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Simon Wiesenthal Center und die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Massenverbrechen wollen die letzten noch lebenden KZ-Wächter vor Gericht bringen. Das Wiesenthal-Center rief zur Aktion »Last Chance« auf und setzte sogar Belohnungen auf die Ergreifung der Täter aus.

Allerdings nicht für die Ergreifung aller noch lebenden Täter. An sie und das 1945 geschaffene Völkerrecht erinnerte der 92-jährige Benjamin Ferencz, der letzte lebende Chefankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen: »Wir können nicht sagen, wir machen einen Strafgerichtshof - für uns selbst aber ist dieser nicht zuständig.« Vorbereitung und Führung des Angriffskriegs galten als das hauptsächliche Verbrechen. Vernichtungskrieg und Völkermord leiteten sich daraus ab.

Unzählige Kriege - seit 1999 auch mit deutscher Beteiligung - sorgten für die Beseitigung des Prinzips des Verbots des Angriffskrieges. In deutschen Soldatenzeitungen erschienen immer wieder Artikel mit der Tendenz, es soll Schluss gemacht werden mit der Strafverfolgung von Wehrmachtskriegsverbrechen, denn diese verunsichere nur die heute kämpfende Truppe, so in Afghanistan. Wenig später kam es dann am Kunduz zum größten Kriegsverbrechen der Deutschen seit 1945 mit rund 140 Toten, zumeist Zivilisten, vielen Kindern. Derjenige, der den Befehl gab, blieb bis heute unbestraft, es wurde nicht einmal gegen ihn ermittelt. Der Täter Georg Klein wurde gar zum Brigadegeneral befördert.

Die »Operation Last Chance« könnte nun Abhilfe bei straflosen NS-Verbrechen und zur Wiederherstellung der Nürnberger Normen schaffen. Sie müsste allerdings alle Kriegsverbrechen einschließen. Vor Gericht gehören endlich auch die Kriegsverbrecher aus der Wehrmacht. Damit würde eine abschreckende Wirkung für Gegenwart und Zukunft erreicht.

Vor zehn Jahren hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) gemeinsam mit der Gruppe »Angreifbare Traditionspflege« Strafanzeige erstattet gegen 196 Täter aus der Wehrmacht, denen begründet - mittels Dokumenten aus dem Bundesarchiv und aus dem Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. - vorgeworfen wurde, an Massakern in Griechenland und Italien beteiligt gewesen zu sein. Es kam jedoch nicht zu ernsthaften Ermittlungen. Jetzt könnten diese zielführend sein.

Denn nach der neuesten Rechtsprechung reicht der Nachweis der Mitgliedschaft in dem mordenden Kollektiv aus, um die Täter zu bestrafen. Mit der Verurteilung des früheren KZ-Wachmanns John Demjanjuk in München 2011 hatte sich die Rechtslage geändert. Sie wurde teilweise wieder auf die Nürnberger Prinzipien zurückgeführt. Jetzt genügt der Nachweis, dass die Beschuldigten in Vernichtungslagern und Mordkommandos Dienst getan hatten. Vorher hat immer ein spezifisches Verbrechen eines bestimmten Täters nachgewiesen werden müssen.

Die Ludwigsburger und andere Stellen zur Verfolgung von NS-Verbrechen waren bei Ermittlungen an die Grenzen gestoßen, die sich daraus ergaben, dass kaum Zeugen, sondern allenfalls Akten vorhanden waren. Lediglich ein einziges Verfahren, der Fall Scheungraber, wurde in den letzten Jahren in Deutschland verhandelt, und der Täter wurde in München verurteilt. Vor Antritt der Haft verstarb er.

An die Zentrale Stelle in Ludwigsburg, die anderen zuständigen Staatsanwaltschaften sowie Justizministerien und an das Simon Wiesenthal Center richtet die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes nun den Appell, außer gegen Wachmannschaften der KZ auch gegen verbrecherische Soldaten zu ermitteln. Oder diese auszuliefern, wenn sie im Ausland - wie in Italien - verurteilt wurden. Bisher hielt die deutsche Justiz die schützende Hand über sie.

Ulrich Sander ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

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