Der normale Wahnsinn

Sahra Wagenknecht über die Lehren aus der Geschichte um Gustl Mollath

  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist wie in einem schlechten Film. Skandale im Wochentakt: Die Manager der Anglo Irish Bank machen sich am Telefon über Politiker lustig, die der irischen Schrottbank besinnungslos Milliarden in den Rachen werfen. Offshore-Leaks enthüllt, dass über 100 000 deutsche Super-Reiche unter anderem mit Unterstützung der Deutschen Bank Geld waschen. Der vermeintliche Saubermann Uli Hoeneß - der seine Villa am Tegernsee einst mit einer Sozialwohnung verglich - ist einer von ihnen. Geheimdienste überwachen die Bevölkerung mit Hilfe von hippen Internetkonzernen wie Google und Facebook in einem Ausmaß, dass selbst totalitäre Regime vor Neid erblassen. Wir haben uns an diesen alltäglichen Wahnsinn gewöhnt. Er macht uns stumpf. Das ist Nervengift für die Demokratie.

Gustl Mollath hat sich jedoch gewehrt. Seine Geschichte klingt unglaublich. Aber nach allem, was wir bisher wissen, ist sie leider wahr. Er hatte seiner Ex-Frau, damals Mitarbeiterin der HypoVereinsbank, Schwarzgeldgeschäfte mit Schweizer Banken vorgeworfen und darüber detaillierte Angaben gemacht. Mollath wurde daraufhin von ihr der körperlichen Gewalt beschuldigt und landete gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Seine Vorwürfe wurden nie überprüft. Später bestätigte die HypoVereinsbank schließlich seine Behauptungen.

Doch erst nach sieben Jahren, in denen Mollath in der Psychiatrie saß, verfügte das Oberlandesgericht Nürnberg nach wachsendem Druck auf die bayerische CSU-Justizministerin, Beate Merk, die Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Dienstherrin der Gerichte hatte noch kürzlich behauptet, alle nachprüfbaren Anschuldigen Mollaths über Geldwäsche seien unwahr.

Das erinnert an Miloš Formans Kinofilm »Einer flog über das Kuckucksnest«. Oder an die hessische Landesregierung, die ihre erfolgreichsten Steuerfahnder für verrückt erklären ließ, weil sie Banken und Vermögenden auf die Pelle rückten. Wir wissen nicht, was sich in der psychischen Ausnahmesituation tatsächlich zwischen dem Ehepaar Mollath ereignet hat. Aber eines ist sicher: Gustl Mollath ist großes Unrecht widerfahren. Der zuständige Richter Otto Brixner intervenierte gar bei den Steuerbehörden, um eine Überprüfung von Mollaths Vorwürfen zu verhindern. Das Gericht zog unter anderem das Gutachten eines Psychiaters heran, der den Mann persönlich nie getroffen hat. Die bayerische Justizministerin Merk verschwieg gar einen internen Revisionsbericht der HypoVereinsbank, der Mollaths Vorwürfe bestätigte.

Der Fall zeigt, wie der Rechtsstaat vor Geld und Macht in die Knie geht. Es ist nur der Standhaftigkeit Mollaths sowie seiner Unterstützer - darunter auch einstige Steuerfahnder und Ärzte - zu verdanken, dass das Verfahren neu aufgerollt wird. Viele Menschen kapitulieren oder zerbrechen an derartigen Ungerechtigkeiten. Aber Schicksale wie die von Gustl Mollath rufen auch Solidarität hervor: Zahlreiche Menschen äußerten im Internet sowie in Leserbriefen an Zeitungen ihre Wut und Anteilnahme. Mollath wurde zum Symbol für den Widerstand der »kleinen Leute«. Gustl war überall.

Die Anständigen müssen sich daher weiter empören, um sich gegen die Unverfrorenheit von Konzernen, Superreichen und der politischen Klasse zu verteidigen. Die Geschichte von Gustl Mollath lehrt uns: Wir müssen Rechtsstaat und Demokratie vor den Mächtigen schützen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal