nd-aktuell.de / 13.08.2013 / Politik / Seite 13

Jungpädagogen zwischen allen Stühlen

In NRW waren im Juli 10 492 arbeitssuchende Lehrer gemeldet

Anja Krüger
Für angehende Lehrer in Nordrhein-Westfalen wird der Berufseinstieg in diesem Jahr besonders schwer. Wer gesellschaftswissenschaftliche Fächer unterrichten möchte, hat nach Einschätzung der Gewerkschaft schlechte Aussichten, eine Stelle zu finden.

»In Nordrhein-Westfalen treffen in diesem Jahr zwei Entwicklungen auf fatale Weise zusammen«, sagt Michael Schulte, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Nordrhein-Westfalen. Der doppelte Abiturjahrgang und die Verkürzung der Lehrerausbildung führen einerseits zu einem geringeren Bedarf an Neueinstellungen bei Lehren und andererseits zu besonders vielen Bewerber um die weniger werdenden Jobs. Verschärfend kommt hinzu, dass Landesschulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) die Mittel für Vertretungslehrer kürzt.

In diesen Wochen suchen viele Junglehrer in NRW eine Anstellung. Nach Angaben der Arbeitsagentur in NRW waren im Juli 2013 im bevölkerungsreichsten Bundesland 10 492 arbeitssuchende Lehrer gemeldet, das waren 25,4 Prozent mehr als im Juli des Vorjahres. Schlechte Karten haben vor allem Junglehrer mit Fächern wie Deutsch und Geschichte oder Kombinationen von Gesellschaftswissenschaften. »Wer begehrte Fächerkombinationen wie Latein und Mathematik hat, dem wird der rote Teppich ausgerollt«, sagt Schulte.

Tatsächlich werden mehr Lehrer eine Stelle suchen als die Arbeitsagentur erfasst, vermutet die GEW. Denn nicht jeder Jungpädagoge meldet sich arbeitssuchend. Die angehenden Lehrer sind im Referendariat Beamte auf Zeit, das Land zahlt für sie keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Deshalb haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. »Sie haben keine soziale Absicherung während des Referendariats erworben«, kritisiert er.

Wer nicht in den Schuldienst übernommen wird, muss sich mit Nebenjobs durchschlagen oder schlimmstenfalls Hartz IV beantragen. Wissen Junglehrer, dass sie etwa wegen verdienender Lebensgefährten keinen Anspruch auf Hartz IV haben, melden sie sich vielfach auch nicht bei der Arbeitsagentur. Arbeitslos gemeldet waren in NRW im Juli 5063 Lehrer, 14,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Oft werden Lehrer von Beginn des Schuljahrs bis zum Ende mit Zeitverträgen angestellt. In den Sommerferien müssen sie sich arbeitslos melden. Im Unterschied zu den Lehrern nach Abschluss des Referendariats haben diese Pädagogen immerhin Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sie leben aber in der Ungewissheit, ob sie zu Beginn des neuen Schuljahrs wieder einen Vertrag bekommen.

In diesem Jahr ist die Lage besonders schwierig. Gerade hat der doppelte Abiturjahrgang die Schule verlassen. NRW hat die Schulzeit von ursprünglich 13 Jahre auf 12 Jahre verkürzt. »Dadurch gibt es einen geringeren Neueinstellungsbedarf«, sagt Schulte. Die Schülerzahlen sinken, denn an den Schulen fehlt jetzt ein Jahrgang.

Das trifft allerdings nur die Gymnasien, denn für Gesamtschulen und Berufskollegs sind die Schuljahre bis zum Abitur nicht gekürzt worden. »Wir wissen um die besondere Situation an den Gymnasien«, sagt Jörg Harm, Sprecher des Schulministeriums. Deshalb habe das Ministerium einen Einstellungskorridor eingerichtet. Die Gymnasien bekommen 1000 Stellen über den vom Ministerium errechneten Bedarf hinaus. Dadurch müssen Lehrer nicht versetzt werden. Gehen Lehrer in Pension, können Schulen ihre Stellen neu besetzen.

Das reicht aber nicht, um die zusätzlichen Bewerber aufzunehmen. Denn es werden ausgerechnet dieses Jahr noch mehr als sonst. Durch die Reform der Lehrerausbildung ist das Referendariat von 24 Monate auf 18 Monate verkürzt worden. Die Reform soll den Nachwuchspädagogen den Praxisschock nach dem Studium ersparen. Sie werden früher mit der Realität in der Schule konfrontiert, um entscheiden zu können, ob sie den richtigen Beruf gewählt haben.

»Aus diesem Grund ist die praktische Ausbildungshase während des Referendariats heute kürzer«, sagt Sprecher Harm. In diesem Jahr werden deshalb nicht zwei, sondern drei Entlassjahrgänge auf den Lehrerarbeitsmarkt kommen. Ende Januar waren 3500 Lehrer fertig, Ende April 3800 und Ende Oktober werden es voraussichtlich weitere 4200 sein. »Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich zu bewerben«, sagt Harm. »Wer nicht gleich eine feste Stelle bekommt, der kann sich auch als Vertretung bewerben.«

Aber auch da wird es enger. Das Schulministerium hat die Mittel für den Vertretungsunterricht erheblich gekürzt. »Die meisten zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisse für Lehrer werden über diese Mittel finanziert«, sagt Schulte. Mit den sogenannten Flexiblen Mitteln soll der Unterrichtsausfall in den Schulen eingedämmt werden.

Eltern und Lehrer kritisieren den massiven Unterrichtsausfall an den Schulen des Landes seit langem. Trotzdem hatte Ministerin Löhrmann ursprünglich vor, die Mittel für Vertretungslehrer von 50 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro zu senken. Sie begründete das mit der allgemeinen Notwendigkeit zum Sparen, die auch ihr Ministerium treffe. Nach massiven Protesten von Eltern, Lehrern und GEW wird dieser Etat nun nicht halbiert, sondern lediglich auf 34 Millionen Euro gestutzt.