nd-aktuell.de / 16.08.2013 / Politik / Seite 2

Schwarzer Rauch über Ägypten

Übergangsregierung setzt auf Härte

Oliver Eberhardt, Kairo
Nach ruhigen Nacht- und Vormittagsstunden hat es in Ägypten am Donnerstag erneut gewaltsame Ausschreitungen gegeben. Eine Rückkehr zur Normalität ist nicht ansatzweise in Sicht.

Ägypten am Rande des Bürgerkrieges: Am Donnerstagnachmittag setzten mehrere Hundert Demonstranten ein Regierungsgebäude in Brand; zudem mehren sich die Angriffe von Zivilisten auf Zivilisten. Eine Rückkehr zur Normalität scheint in diesen Tagen schwer vorstellbar.

Nach einigen Stunden der relativen Ruhe kehrt die Gewalt auf die Straßen Ägyptens zurück. Über dem Gouverneurssitz von Gizeh, einer Art Landratsamt, steigt schwarzer Qualm auf. Mehrere Hundert Menschen hatten das Gebäude zuvor gestürmt und in Brand gesteckt. In Alexandria und anderswo außerhalb von Kairo versammelten sich Tausende zu erneuten Massendemonstrationen, und überall hat Aggression die Stelle der Gewaltlosigkeit eingenommen, die bisher die Proteste der Muslimbrüder gegen die Absetzung des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi definierte.

Denn in diesen Stunden wird rasend schnell das Ergebnis der Räumung zweier Protestlager in Kairo am Tag zuvor deutlich: 525 Tote hatte das Gesundheitsministerium am Nachmittag offiziell gemeldet. Am Freitagmorgen wird, das ist sicher, diese Zahl sehr viel höher sein. Erst dann, wenn die Verstorbenen in einer Leichenhalle begutachtet und die Totenscheine ausgestellt worden sind, werden sie auch in die offizielle Statistik aufgenommen. Das ist derzeit ein großes Problem. Eine große Zahl an Verstorbenen liegt auch in diesen Stunden noch in Moscheen in der Nähe der ehemaligen Protestlager. Denn zunächst konnten sie wegen der Absperrungen nicht abtransportiert werden; dann wurden die Krankenwagen für die Verletzten gebraucht; dann kam die Ausgangssperre dazwischen. Am Donnerstagmorgen waren die Leichenhallen komplett überlastet. Was dazu geführt hat, dass Moscheen zu provisorischen Leichenhallen umfunktioniert wurden - wo sich nun zur Gewalt auch ein gewaltiges Gesundheitsrisiko anbahnt. Die meisten der Opfer haben offene Wunden, und das beschleunigt in der Sommerhitze den Verwesungsprozess, zieht Ungeziefer an, erhöht die Seuchengefahr.

Die Regierung tut nichts, um Abhilfe zu schaffen. Auf die Appelle von Ärzten und Vertretern der Muslimbruderschaft, die Angehörigen mögen doch bitte die Verstorbenen beerdigen, sobald sie identifiziert seien, antworteten Vertreter des Innenministeriums, ein Begräbnis auf einem öffentlichen Friedhof sei erst dann möglich, wenn ein Totenschein ausgestellt sei. Doch kein Verwaltungsmitarbeiter wagt sich hierhin.

Regierungsvertreter sind an diesem Tag bemüht, der Weltöffentlichkeit das Vorgehen der Sicherheitskräfte zu erklären, doch im Angesicht der Tatsachen wirken die Statements eher realitätsverloren. So lobte Premierminister Hasem al-Beblawi in einer Fernsehansprache am Mittwochabend die »Zurückhaltung« der Sicherheitskräfte. Durch das »Chaos«, das die Muslimbruderschaft verbreite, sei »wirtschaftlicher Fortschritt unmöglich«.

Es habe keine Alternative gegeben, sagte er, und reagierte damit indirekt auf das Rücktrittsschreiben von Vize-Präsident Mohammad al-Baradei, der Stunden zuvor erklärt hatte, er könne keine Verantwortung für etwas tragen, mit dem er nicht einverstanden sei.

Was diese Alternativen waren, wurde dann am späten Mittwochabend deutlich: Bis zur letzten Minute hatten sich Diplomaten von Europäischer Union und Vereinigten Staaten darum bemüht, den drohenden Einsatz von Polizei und Militär gegen die Demonstranten abzuwenden. »Es stand ein politischer Plan zur Diskussion, der auch von der anderen Seite, der Muslimbruderschaft, akzeptiert worden war«, sagte der EU-Gesandte Bernardino Leon, der gemeinsam mit dem stellvertretenden US-Außenminister William Burns die Vermittlungsbemühungen leitete. Doch auf Seiten der Übergangsregierung herrschte die Ansicht vor, dass die Muslimbruderschaft es nicht ernst meint, dass man ihr nicht vertrauen kann.

Nun sagen die ausländischen Verhandler, dass es auch ihnen schwerfällt, an eine baldige Rückkehr zur Normalität zu glauben; man hoffe, einen Bürgerkrieg, »algerische Zustände«, wie es Bernardino nennt, irgendwie verhindern zu können. Doch angesichts der Lage erscheint dies derzeit in weiter Ferne. Vor allem am rechten Rand der Pro-Mursi-Demonstranten, in orthodox-muslimischen Gruppierungen, steigt die Gewaltbereitschaft von Stunde zu Stunde, oft auch angestachelt durch radikale Prediger, die sich ihre Erklärung für die Ereignisse zurechtgelegt haben: Die Tamarod-Bewegung sei von christlichen »Kreuzrittern« unterwandert, die das Militär dazu bringen wollten, Muslime zu töten. Eine Argumentation, die am Ende dazu führte, dass Anhänger dieser Prediger christliche Einrichtungen in Brand stecken. Die Muslimbruderschaft verurteilte die Angriffe.

Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht. Die Anhänger der radikalen Islamisten-Vereinigung Dschihad wollen an diesem Freitag gemeinsam mit den Muslimbrüdern gegen die neue Übergangsregierung protestieren. Ägyten steht vor einem »Freitag der Wut«. Dass sich die nur friedlich Bahn bricht, ist unwahrscheinlich.