nd-aktuell.de / 19.08.2013 / Politik / Seite 2

Diskriminierungsfrei muss die Vignette sein

Die EU-Institutionen befassen sich seit Langem mit nationalen Maut-Regelungen

Rainer Balcerowiak
Mit seinem Ruf nach einer Pkw-Maut für Ausländer hat CSU-Chef Horst Seehofer für einen der wenigen Aufreger im Wahlkampf gesorgt. Zwar sind die Reaktionen meist negativ, doch das könnte sich nach der Wahl ändern. Ein Blick zu unseren Nachbarn zeigt, wie eine Maut aussehen müsste, damit sie nicht gegen EU-Recht verstößt.

Die Erhebung von Gebühren für die Nutzung bestimmter Straßen ist wahrlich keine Erfindung neuzeitlicher Haushaltspolitiker. Bereits im Mittelalter war der Wegezoll eine beliebte Methode der jeweiligen Potentaten, Reisende zwecks Auffüllung des eigenen Säckels zur Kasse zu bitten. Auch im modernen Europa ist die mittlerweile Maut genannte Abgabe weit verbreitet. Bereits rund 20 europäische Länder bitten Autofahrer auf Autobahnen zur Kasse, sei es in Form von zeitbezogenen Pauschalen, für die der Nutzer eine Vignette erwerben muss, oder - wie z.B. in Italien und Frankreich - durch entfernungsbezogene Einzeltickets. In Deutschland müssen Nutzer bislang nur für wenige privat finanzierte Strecken, wie z.B. die Warnow-Querung in Rostock, Gebühren entrichten. Dagegen gilt für Lkw schon seit einigen Jahren auf allen Autobahnen eine Maut-Pflicht, wobei die jeweilige Summe durch ein satellitengestütztes Erfassungssystem (Toll Collect) ermittelt wird.

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß des bayrischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer für eine Pkw-Maut auf deutschen Autobahnen trotz seiner offensichtlich dem Wahlkampf geschuldeten polternden Rhetorik keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Sache hat allerdings einen Haken. Seehofer will die Gebühr nur für Pkw aus dem Ausland erheben und begründet dies damit, dass a) Deutsche in den meisten EU-Ländern schließlich auch zahlen müssten und b) die deutschen Autofahrer durch Kfz- und Mineralölsteuer bereits einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der hiesigen Fernstraßen leisteten.

Über die Stichhaltigkeit dieser Argumente lässt sich streiten. Doch mit den Rechtsnormen der Europäischen Union ist die »Ausländer-Maut« nicht vereinbar. Bereits im 1957 auch von der Bundesrepublik in Rom unterzeichneten Gründungsvertrag zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft heißt es im Artikel 12: »Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.« Im Zuge der EU-Reform behielt diese Kernaussage uneingeschränkt Gültigkeit und firmiert nunmehr als Artikel 18 des 2009 in Lissabon ratifizierten Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Die Auslegung dieses Diskriminierungsverbotes beschäftigt regelmäßig die europäischen Institutionen von der EU-Kommission über das Europaparlament bis hin zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Im Oktober 1987 stoppte die Kommission eine Maut in Belgien, weil Einheimische die Vignette kostenlos erhalten oder die Kosten über die Steuererklärung erstattet bekommen sollten. Im Oktober 2008 wurde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Slowenien eingeleitet, da Autobahnbenutzer dort nur zwischen Jahres- und Halbjahresvignetten wählen konnten. Die Kommissare werteten dies als Diskriminierung ausländischer Nutzer, da diese die Fernstraßen in der Regel nur für sehr kurze Zeit als Transitstrecken benutzen würden. Daraufhin führte Slowenien zusätzlich Wochen- und Monatsvignetten ein. Im Mai 2012 wurden schließlich Leitlinien für ein »nichtdiskriminierendes Entgeltsystem« verabschiedet. Demnach müssen für die Autobahnnutzung auch Wochen- und nicht nur Jahresvignetten angeboten werden. Der Preis pro Tag darf bei diesen Kurzzeitgenehmigungen maximal das 8,2-Fache des Tagespreises bei Jahresvignetten betragen. Zudem empfiehlt die Kommission die Entwicklung entfernungsbezogener elektronischer Mautsysteme in der gesamten EU, da diese »grundsätzlich fairer« seien.

Der in Bayern um die absolute Mehrheit seiner Partei kämpfende Seehofer hat sich derweil weit aus dem Fenster gehängt: »Ich unterschreibe als CSU-Vorsitzender nach der Bundestagswahl keinen Koalitionsvertrag, in dem die Einführung der Pkw-Maut für ausländische Autofahrer nicht drin steht«, sagte Seehofer gegenüber der »Bild am Sonntag«. Europarechtliche Aspekte wischte er beiseite. Wenn man sich immer in juristischen Bedenken ergehe, »dann passiert nie was«.

Natürlich weiß der gewiefte Taktiker Seehofer, dass er damit nicht durchkommen wird. Der Plan, wie er sich seine »Ausländer-Maut« in Koalitionsverhandlungen publikumswirksam abkaufen lassen wird, liegt längst in der Schublade. Die Debatte um Straßennutzungsgebühren für Pkw wird derweil weiter gehen - sei es auf nationaler oder auf EU-Ebene. Ihre Einführung ist nur noch eine Frage der Zeit.