Insolvenz: die Rettung

Suhrkamp: Man wünscht dem Verlag, bald wieder frei von juristischem Gerangel zu sein

  • Lesedauer: 7 Min.

Hier muss gut arbeiten sein, denkt man, wenn man in die Räume blickt – oft stehen die Türen offen. Auch in den Gängen Regale voller Bücher und nur ein, zwei Schreibtische in jedem Raum. Da sieht man Frauen und Männer (viele jüngere Mitarbeiter gibt es hier), in Manuskripte vertieft, auf Bildschirme schauen oder miteinander im Gespräch, ruhig-konzentriert.

Im Suhrkamp Verlag muss gut arbeiten sein, würde da nicht hin und wieder Furcht genährt. Man konnte auch wirklich Angst kriegen, wenn man manche Presseberichte las. Prozesse – eine ganze Kette schon. Natürlich geht es um Geld.

Hans Barlach, der 2006 mit seiner Medienholding bei Suhrkamp einstieg, hat sich davon offensichtlich einiges versprochen. Er hatte damals die Suhrkamp-Anteile des Schweizer Anwalts Andreas Reinhart gekauft, der seinerseits jetzt auf eine vollständige Zahlung klagte. Denn Barlachs einstiger Geschäftspartner Claus Grossner, der 2010 Selbstmord beging, hatte seine Verbindlichkeiten nie beglichen. Barlach haftet laut Vertrag als »Solidarschuldner«.

Nun ist die Suhrkamp Verlag GmbH und Co. KG, zu der auch der Insel-Verlag, der Deutsche Klassiker Verlag, der Jüdische Verlag, der Verlag der Weltreligionen und jüngst auch ein Theaterverlag gehören, durchaus etwas Besonderes auf dem deutschen Buchmarkt. Ein renommiertes Haus, dem man auch Gewinne zutraut. Aber der Geschäftsführerin Ulla Unseld-Berkéwicz, die mit ihrer Familienstiftung 61 Prozent der Verlagsanteile hält, kommt es eher darauf an, aus Gewinnen Rücklagen zu bilden. Für berühmte Autoren müssen zum Teil erhebliche Honorarvorschüsse gezahlt werden, und nach dem Umzug von Frankfurt (Main) nach Berlin sollte es auch irgendwann mal wieder ein neues, eigenes Verlagsgebäude geben.

Dagegen sprach Hans Barlach gegenüber dem »Spiegel« im Februar noch von einem »Renditekorridor von mittelfristig 5 bis 15 Prozent«. Hätte er mit solchen Erwartungen nicht lieber in eine andere Branche investieren sollen, fragt man sich. Aber längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es auch noch ein anderes, »ideelles« Ziel gab – in Gesprächen macht er keinen Hehl daraus: Es geht auch gegen Ulla Unseld-Berkéwicz persönlich ...

Ein Foto aus der »FAZ« von 2006 zeigt vier Männer vor einer Hamburger Villa: Neben Hans Barlach besagter Claus Grossner, dann Joachim Unseld, der Sohn aus erster Ehe, der sich lange als seines Vaters Nachfolger sah, aber es kam zu einem Zerwürfnis, er hat inzwischen einen eigenen Verlag. Ganz rechts auf dem Foto ist Arnulf Conradi zu sehen, der 1993 mit Siegfried Unseld den Berlin Verlag gründete und 2005 die Verlagsleitung an seine bisherige Cheflektorin Elisabeth Ruge übergab.

Die »FAZ« spekulierte 2006, er könnte Verleger von Suhrkamp werden. Barlach soll damals schon im Fernsehen gesagt haben, »die Witwe sei mit der Verlagsführung überfordert, sie solle ihr Amt abgeben«. Das klingt nach Seifenoper – ein Genre, das nun überhaupt nicht zu Suhrkamp passt. Welch Widerspruch: Ein Verlag, der für hochrangige Literatur des In- und Auslands steht, der Heimat bedeutender Autoren ist und der darüber hinaus ein Ort für tiefgründige Kultur- und Gesellschaftskritik in diesem Lande war und bleiben möge, gerät in ein Gerangel, das seinem Niveau überhaupt nicht angemessen ist.

Meldungen jagen einander und werden von Medien aufgenommen. Alles scheint so verworren, dass beim oberflächlichen Lesen vielleicht nur der Eindruck übrig bleibt: Da gibt es Schwierigkeiten, da droht vielleicht gar ein Untergang. Verunsicherungen – welch wirtschaftlicher Schaden daraus entstehen kann, scheint Hans Barlach im Furor des Streits egal zu sein. Werden Autoren, die ja das eigentliche »Kapital« des Verlages sind, »untreu« werden? Wie reagieren Druckereien und Buchhandel? Da gibt es allerdings viel Positives zu berichten. Buchhändler haben sogar extra »Suhrkamp-Fenster« gestaltet, um ihre Solidarität mit dem Verlag zu bekunden. Autoren meldeten sich in der Presse zu Wort, um sich hinter ihre Verlegerin zu stellen.

Aber man bedenke, was so ein Rechtsstreit an Geld und an Nerven kostet. Dr. Tanja Postpischil, die Leiterin der Presseabteilung, ist voll damit ausgelastet, dazu Erklärungen abzugeben, und würde sich gern wieder ihrem ureigenen Anliegen widmen, den Medien die Bücher des Verlages ans Herz zu legen. Das bleibt freilich nicht ungetan, ihre Kolleginnen strengen sich doppelt an.

Gute Arbeit jetzt erst recht – das scheint die Devise aller Mitarbeiter zu sein. Dem Herbstprogramm merkt man es an, und im Frühling wird man wieder staunen und sich freuen. So wie es immer ist, wenn man eine Vorschau von Suhrkamp in die Hand bekommt. Es fällt einem schwer zu sagen, welches Buch einen nicht interessiert. Ob das Frühahr dem Verlag womöglich schon ein Aufatmen bringt? Hoffnungen möchte man nicht »beschreien« (und umgekehrt die Wirkung schlechter Nachrichten nicht noch aufbauschen).

Aber einfach schweigen kann man auch nicht im Medientumult. Suhrkamps Zukunft liegt einem doch nicht nur selbst am Herzen, sie liegt im öffentlichen Interesse. Zwar mag es Leser geben, denen es egal ist, aus welchem Verlag das Buch kommt, das sie gerade gut finden. Aber gerade angesichts des riesig hohen und weiter wachsenden Bücherbergs ist Suhrkamp ein Markenname. Selbst wenn du den Autor auf dem Buchumschlag nicht kennst, kannst du sicher sein: Ein Text aus diesem Editionshaus wurde mit Sorgfalt ausgesucht und lektoriert. Suhrkamp steht für einen Qualitätsstandard, dem zwar auch andere Verlage folgen, der aber in der Branche überhaupt nicht selbstverständlich ist.

Für eine Kultur in einem umfassenden Sinne, die immer wieder neu zu behaupten ist, für Einmischung in gesellschaftliche Angelegenheiten auf hohem geistigen Niveau. So kann man sich nur wünschen, dass irgendwann, bald, der Verlag den ganzen Juristendschungel hinter sich lassen kann, dieses kraftraubende Gerangel. Durchatmen, frei sein, um Neues zu wagen. Irgendwann, bald. Doch dazu ist erst einmal ein Insolvenzverfahren durchzustehen.

Insolvenz? Klingt in diesem Fall schlimmer, als es ist. Der Hintergrund: Hans Barlach hatte aus dem Verkauf des alten Frankfurter Geschäftssitzes und des Verlagsarchivs seinen Anteil von 2,2 Millionen Euro gefordert und das sofort per Gerichtsbeschluss eingeklagt. Würde er dieses Geld erhalten, müsste man der Familienstiftung das gleiche Recht zugestehen. Mit einer Zahlung von zusätzlich 5,5 Millionen wäre der Verlag bilanziell überschuldet.

Insolvenz im Konjunktiv also, Juristen nennen es ein »Schutzschirmverfahren«. Der Verlag ist uneingeschränkt handlungsfähig, Verträge bleiben unangetastet, laufende Rechnungen werden bezahlt, aber Gewinne müssen nicht ausgeschüttet werden. Wichtige Entscheidungen werden nun durch einen vom Gericht bestellten Sachwalter getroffen, bis die Gläubigerversammlung am 1. Oktober über den Insolvenzplan abstimmt. Der sieht, auch das ging inzwischen durch die Presse, die Streichung der Gesellschafterforderungen von über sieben Millionen Euro und die Umwandlung der GmbH und Co. KG in eine Aktiengesellschaft vor. Allerdings nicht börsennotiert.

Als Minderheitsgesellschafter würde Hans Barlach seine Sonderrechte verlieren, »mit denen er etwa bei einigen Personalien ein Vetorecht hatte oder auch bei größeren Investitionen mitreden konnte«, berichtet die »Welt«. Vorgesehen sei, ihm ein Abfindungsangebot für seine Aktien zu unterbreiten. Wenn er später verkaufen will, würde das nur mit Zustimmung des neuen Suhrkamp-Vorstands gehen. Auch sei eine Kapitalerhöhung durch Verkauf neuer Aktien vorgesehen. Dafür nähme Ulla Unseld-Berkéwicz in Kauf, dass ihr Anteil sich verringert. Als mögliche Miteigentümer sind die Wella-Erben Sylvia und Ulrich Ströher im Gespräch. Auch der Deutsche Taschenbuch Verlag, an dem mehrere Verlage beteiligt sind, hat Interesse angemeldet. Insolvenz als Rettung. Nein, nichts »beschreien«.

Hans Barlach wird gegen seine mögliche Entmachtung alles aufbieten, was er kann. Denn ist der Ruf erst ruiniert ... Ob ihm je der Gedanke kam, was er mit seinem Namen macht. Immerhin ist er der Enkel Ernst Barlachs, vor dessen würdige Kunst er sich schiebt mit grellem Machtgehabe. Suhrkamp: Die Sonne scheint in die Räume. Normale, alltägliche Arbeit. Das Haus in der Pappelallee 79 bekommt einen neuen weißen Anstrich. Was nicht heißt, dass man dort bleiben wird. Kein Abschied vom Wunsch nach einem eigenen Domizil in Berlin. Konkrete Pläne dafür gibt es schon.

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