Indoktrination

ANNOTIERT

  • Marianne Walz
  • Lesedauer: 2 Min.

Männer und Frauen der Jahrgänge zwischen 1923 und 1933 wuchsen als Elf- bis Vierzehnjährige mit der Schülerzeitschrift »Hilf mit!« auf. Sie erschien monatlich in Fünf-Millionen-Auflage. Die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität hat diese je 32-seitigen illustrierten Hefte analysiert.

»Auch noch 70 Jahre später staunen Studierende der Erziehungswissenschaft über diese die pädagogische Aufklärung pervertierende, perfektionierte Methodik der NS-Propaganda«, heißt es in der Vorbemerkung des Herausgeberkollektivs unter Leitung des Erziehungswissenschaftlers Benjamin Ortmeyer. Fazit der Studie: Der Verbund aus Ministerialbeamtenschaft, Schule, NS-Lehrerbund und Hitlerjugend hat hoch professionell gearbeitet. Die hoch wirksame Mixtur, mit der Kinderhirne vernebelt wurden: Zwei Drittel eines Heftes boten Geschichten über das Helfen, die Kameradschaft oder das Geborgensein in Familien-, Dorf- und sogenannter Volksgemeinschaft samt den dazu passenden schönen Bildern. Nur jeweils ein Sechstel der Inhalte sind direkter Kriegspropaganda zuzuordnen, kolportieren rassistische und antisemitische Hetze. Liest man heute diese, so kann man nur mit dem Kopf schütteln:

Der vorbildhafte Fähnleinführer Dieter ruft die »Volksgenossen« seines Dorfes dazu auf, in alten Kirchenbüchern nach Familien zu forschen, die als Juden vorzeiten zu Christen konvertiert waren. So gelingt es Dieter, den in seiner HJ-Truppe verborgenen jüdischen »Schädling« auffliegen zu lassen. Hitlerjunge Erich hat einen Fußball versehentlich hinter die Mauern der psychiatrischen Anstalt geschossen und muss ihn von dort zurückholen. Der unvorbereitete Anblick von Kranken jagt dem Jungen Angst ein. Doch Kamerad Helmut weiß: Schuld an diesen »grausigen Erscheinungen« sind Eltern und Vorfahren, die sie der »Volksgemeinschaft« aufgebürdet haben.

Erschreckend: Erziehungswissenschaftliches und dokumentaristisches Engagement zur Aufklärung faschistischen Ungeistes braucht noch heute Mut. Ortmeyer ist Zielscheibe von Beleidigungen auf einschlägigen Neonazi-Netzseiten, die bis hin zu Morddrohungen reichen.

Benjamin Ortmeyer (Hg.): Indoktrination. Rassismus und Antisemitismus in der Nazi-Schülerzeitschrift »Hilf mit!« (1933-1944. Belz Juventa, Weinheim(Basel 2013. 154 S., br., 14,95 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: