nd-aktuell.de / 31.08.2013 / Kommentare / Seite 21

Kein Held? Ein Komponist

Neuere Bücher über Hanns Eisler - und was sie uns Überraschendes mitzuteilen haben

Stefan Amzoll

Das Bündel Bücher, das hier in Rede steht, fast alle erschienen im 50. Todesjahr des Komponisten 2012, eröffnet neue Zugänge und reproduziert zugleich alte Denkmuster. Es scheint: Eislers Werk reißt ungebrochen Gegensätze auf, es polarisiert (»Die Maßnahme«). Die einen entdecken das »Stempellied«, »Der Graben«, »Ein Pferd klagt an«, andere wenden sich angewidert ab. Das passe nicht mehr in die Zeit. Klassenkampf - hat es nie gegeben. Andererseits: Die Gehalte seiner Stücke und Diskurse zu neutralisieren unter dem Motto, es zähle allein der an Schönberg gewachsene Bürgerschreck (»Zeitungsausschnitte«), der Schöpfer autonomer Kammermusik (»14 Arten den Regen zu beschreiben«), funktioniert heute so wenig wie gestern. Eislers Kopf scheint 50 Jahre nach seinem Tod immer noch gespalten.

Was sich auch in Aufführungsverhältnissen niederschlägt. Einmal schweigt der größte Teil seiner Werke, an die 600 Lieder darunter, zum anderen ist Eisler so präsent, auch international, wie selten. Seine Kammermusik erklingt mehr als Orchesterwerke oder Suiten. Die »Deutsche Symphonie« wird in Abständen gespielt. In systemkritischen Gruppen kursieren seine Lieder, auch Kampflieder. Wissenschaftler systematisieren sein Werk, lesen Reden und Schriften neu, forschen mehr denn je über den Künstler und sein Werk. Die Quellenlage ist ungleich besser als noch vor 25 Jahren. In neuer Art hat sich herumgesprochen: Da ist so ein Bursche, auf dessen Musik können wir rechnen, überaus gescheit und gewitzt im Umgang mit den verschiedensten Genres und Musikformen, ein Künstler, der grundsätzlich nicht einsah, warum er für Eliten komponieren sollte. Aus der Vielzahl der Bücher und Zeitschriftenbeiträge zu Eisler seien wenige Titel vorgestellt.

Friederike Wißmann gelang mit »Hanns Eisler - Komponist, Weltbürger, Revolutionär« eine gut lesbare, engagierte Biografie. Biografisches knüpft sich an Werkanalysen, etwa der »Deutschen Sinfonie« und des »Johann Faustus«-Librettos. Eislers zustimmende Haltung zum Mauerbau (Brief an Günter Grass) thematisiert die Autorin in gebotener Sachlichkeit. Seine Stellung in und zur DDR schaut Wißmann gleichfalls bekömmlich unideologisch an. Allerdings: Eisler litt zuletzt weniger an Alkoholproblemen, mehr an einer chronischen Herzkrankheit, die seinen Tod beschleunigte.

Anders Frieder Reininghaus, Musikkritiker, einstmals Neulinker mit Hang zum revolutionären Kampflied. Unter der Überschrift »Über die Kunst zu erben und den Meister des Zitats. Hanns Eisler als Objekt und Subjekt der Rezeptionsgeschichte« zieht er es vor, alte Hüte zu präsentieren. Beteiligt an dem Themenschwerpunkt »Hanns Eisler - Zuckerbrot und Peitsche« (Österreichischen Musikzeitschrift 4/2012), reproduziert Reininghaus lediglich die alten Schwierigkeiten des westlichen Umgangs mit Eisler. Als würden die üblen Reden (Komponist der »Spalterhymne«, Brecht-Freund zu Diensten Ulbrichts etc.) immer noch wie Wundmale an dem Manne kleben. Derzeit dümpele die »Eisler-Pflege« in Österreich auf ähnlich niedrigem Niveau dahin wie die zwischen Ostsee und Erzgebirge. Für die Medien sei die Figur nur eine Randnotiz wert. Indiskutabel.

Schwierig die »Jüdische Miniatur«, Reihe bei Hentrich & Hentrich, von Andrea und Philip Bohlman »Hanns Eisler - ›In der Musik ist es anders‹«. Das Büchlein destilliert aus Eislers jüdischer Herkunft väterlicherseits den »jüdischen Komponisten«, was nicht ernst genommen werden kann. Dieser freisinnige Kopf, mit dem die Autoren es arg gut meinen, war, weil wie seine Geschwister Ruth und Gerhart weltlich erzogen, lupenreiner Atheist, dem jüdische Motive freilich nicht fremd waren und der solche auch einbaute (wie Marx, fälschlich als Antisemit gestempelt, und Brecht alttestamentarische Motive integrierten). Komponierte Eisler mit der »Deutschen Sinfonie« eine »Konzentrationslagersymphonie«, dann im Andenken aller dort Ermordeten. Arnold Pistiak zeigt am Beispiel der »Weißbrot-Kantate«, wie Eisler christliche Motive aus ihrem Kontext herauslöst und sie säkularisiert, »ohne ihren menschheitsgeschichtlich bedeutungsvollen Gehalt einzuschränken.« Unterschwellig scheint in der »Jüdischen Miniatur« das Gesetz zu walten: »Du sollst dir kein Bild machen.« Die (arg verkürzten) Reflexe auf Eislers revolutionäre Musikpraxis, seinen Antifaschismus, seine Kritik am US-Kapitalismus, seinen Antikapitalismus erscheinen abstrakt. Resümee der Schrift: »Hanns Eisler war ein jüdischer Komponist der Moderne.«

Der Sammelband »Hanns Eisler - Ein Komponist ohne Heimat?«, Hartmut Krones aus Wien gab ihn heraus, eröffnet gleichfalls mit einer Vereinnahmung. Eisler sei Österreicher, Wiener, er hätte dort 25 Jahre gelebt. Wien wäre für ihn Rückzugsgebiet gewesen. (Arbeitsmöglichkeiten jedoch bot ihm die Stadt nach dem Kriege - schäbig genug - nicht.) Das klingt wie »Er ist unser!« und taugt wenig, den länderübergreifenden Arbeits- und Wirkungshorizont des Künstlers als Ganzes in Augenschein zu nehmen. Freilich birgt der umfängliche Band Forschungen, die dabei helfen, Person und Werk weiter aufzuschließen.

Es ist nötig, die Welt zu verändern. So könnten die vier kleinen Bücher mit »Essays zu Hanns Eislers musikalischem und poetischem Schaffen« von Arnold Pistiak überschrieben sein. Denn der kardinale Gedanke ist dem Eislerschen Werk inhärent. Pistiak ist fasziniert von den drei Heine-Chören. Berührend: Er liebt jedes der Werke, über die er in Ich-Form reflektiert. Eisler habe mit den Heine-Chören erstmals nachhaltig seinen Antikapitalismus artikuliert: Die Verhältnisse, sie gehören umgestürzt, notfalls mit Gewalt, tönt es darin. Pistiak vergleicht die Heine-Verse mit dem, was Eislers daraus poetisch entworfen hat, und analysiert Fakturen der Chöre. Eine Methodik, manifest auch in den übrigen Essays. Der zu »Johann Faustus« ist wahrlich ein Wurf. Dass dies »ganz und gar neuartige« literarische Zeugnis ein »Kampfstück« sei, das wagte wohl noch niemand auszusprechen. Über Anspielungen, Satire usw. hätte Eisler den »bürokratischen Sozialismus« attackiert. Das Artefakt ist nicht einfach dahergesagt, es erwächst der Analyse.

»Die Freiheit bekommt man nicht geschenkt« - Essay über die zehn Kammerkantaten des Exils (von »Man lebt vom einen Tage zu dem andern« bis zur »Kantate auf den Tod eines Genossen - ermordet in Berlin 1943«) nach Ingnacio Silone und Brecht, geschaffen 1937, als Eisler bei Brecht in Svendborg wohnte. Wahrlich eine erhellende Arbeit. Wieder parallel gesetzt die Ableitungen, die Eisler poetisch entwickelt, mit den Originalen aus Silone-Romanen. Pistiak attestiert nach gründlicher Analyse den Stücken, sie seien Ausdruck »einer erstaunlichen ästhetischen Einheit« und artikulierten einen Anti-Stalinismus. Künstler seien nach Hegel das, was sie in ihren Werken sind. Insofern »dürfen wir in Eisler wie in Brecht entschiedene Kritiker des Stalinismus sehen.« Problem ist für Eisler in den 50ern die zum Antikommunismus mutierte Figur Silone. Er tilgte den Namen, bevor die Noten in Druck gingen. Aus Feigheit? Aus einer List? Pistiak führt das nicht näher aus. Nur so viel, dass der Schriftsteller, seit 1919 Mitglied der KPI, für Mussolinis faschistischen Geheimdienst bis 1930 als Spitzel tätig war - wider die sozialistische Bewegung. Seit den 50er Jahren war Silone Vorsitzender der »L’Associazione Italiana per la Libertá della Cultura«, das italienische Pendant zum antikommunistischen »Kongress für kulturelle Freiheit«, beide vom US-Geheimdienst CIA finanziert. Eisler - die Seiten befeuerten sich mit solchem Material - dürfte das gewusst haben. Ob er den Schöpfer sozialkritischer Romane darum minder mochte?

Überraschendes Material liefert nicht minder die Arbeit des Essener Musikologen Horst Weber: »I am not a hero, I am a composer« - Hanns Eisler in Hollywood. Das Apostrophierte sprach Eisler im Sommer 1947, als der HUAC - Ausschuss zur Untersuchung un-amerikanischer Tätigkeit - ihn vernahm und zum »Helden des Kommunismus« kürte. »I am not a hero, I am a composer!« ist die Schlusspointe seines Statements, worin Eisler nachdrücklich die mutigen, opferreichen Antifa-Kämpfe der Kommunisten würdigt, welche die wirklichen Helden seien. Hoher Rang gebührt dem Kapitel »Tribunale«. Es entfaltet einmal die Protokolle der Vernehmungen vor dem HUAC-Ausschuss erstmals umfassend, zum anderen analysiert es die Tribunale der frühen 50er Jahre, rankend um Eislers »Johann Faustus«-Libretto, das amerikanische Erfahrungen des Komponisten kritisch aufarbeitet. Wie Kisch, der Reporter, beschreibt Weber jene denkwürdige Autoreise nach Kalifornien (Kapitel »Reisesonate«), die Eisler - als Beifahrer - zu Brecht, Schönberg, Feuchtwanger, Thomas Mann führte, die sich dort bereits aufhielten. Diverse Hinweise aus Korrespondenzen strukturiert der Autor, markierend Städte, Rastplätze, Straßen, Hotels, Menschen, Begebenheiten, Gespräche, Briefe, Telegramme und begleitet seinen Delinquenten in wildem Parforceritt über Landstraßen von Ost nach West.

Eisler habe an der Ostküste - die Mär geht immer noch - keineswegs unter Mangel an Zuhörern gelitten. »In New York waren seine Kampflieder nicht nur auf den Demonstrationen der Arbeiter erklungen, sondern bis in die Carnegie Hall vorgedrungen.« Das dritte Kapitel »Lou« gehört der Louise Eisler, jener so widerborstigen, ungeduldigen wie tapferen Ehegattin und Schriftstellerin, die trotz aller Unbill - noch bevor die HUACD-Vernehmungen begannen, wollten sie sich scheiden lassen - in den zehn Jahren US-Exil fest an der Seite ihres Mannes stand. Es ist auch ein Kapitel, das den Verrat an den Eisler-Brüdern Hanns und Gerhart in politisch hoch geheizter Atmosphäre beschreibt.

Das vierte Kapitel »Komponieren« akzentuiert die musikalische Analyse wesentlicher Exilwerke. So der dritten Klaviersonate mit ihren aggressiven Ecksätzen und dem trauervollen Mittelteil. Dergleichen Analysen gehören zu den Glanzpunkten des Buches. So detailliert wie methodisch anspruchsvoll, helfen sie, in die tieferen Schichten des Eislerschen Komponierens vorzudringen.