Eine ironische Frau, gibt es das?

Zum 250. Geburtstag von Caroline Schlegel-Schelling

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie steht im Mittelpunkt. Immer noch, immer wieder. Wie macht sie das nur?

Schon ihr 200. Todestag vor vier Jahren wurde ausgiebig begangen und nun der 250. Geburtstag. Neue Bücher, die alten Debatten. Als sie noch lebte, war das kaum anders. Alle redeten über sie, beliebt war sie wenig, nicht wenige hassten sie sogar, wie Friedrich Schiller, der sie bevorzugt »Dame Luzifer« nannte. Ihre Feinde fanden, dass sie allzu zielgerichtet auf die berühmten Männer ihrer Zeit zusteuerte, mit zweien war sie dann sogar verheiratet: August Wilhelm Schlegel und F.W.J. Schelling. Sie stiftete Unruhe, sie lebte immer in Hochspannung. Das Leben war ein Fest, ihr eigenes, auch wenn es elende Seiten hatte.

War sie also die Alma Mahler-Werfel oder Lou Andreas-Salomé des 18. Jahrhunderts? Etwas in dieser Art sicherlich. Eine Frau, der man heute schnell - zu schnell? - den Namen stark gibt, obwohl Stärke damals wohl anderes bedeutete als heute. Vor allem: die vorgegebene Position der Schwäche zu ertragen. Karriere, und sei man noch so talentiert, machten nur die Männer.

Als Freundin des revolutionsbegeisterten Georg Forster kommt sie, früh verwitwet, 1792 ins französisch besetzte Mainz. Dort wird sie nach der Rückeroberung der Stadt verhaftet und auf die Festung Königstein gebracht. Ihre Freilassung hat sie den Brüdern Schlegel zu verdanken. Ein Wettlauf mit der Zeit, denn sie ist schwanger - von einem französischen Offizier.

August Wilhelm Schlegel heiratet die im Ruf einer Jakobinerin stehende Caroline und gibt sich als der Vater des Kindes aus. Ein Freundschaftsdienst. Sabine Appel, die eine sehr detailfreudige Biografie über Caroline vorgelegt hat, malt aus, was eine Entdeckung dieser Schwangerschaft für Folgen gehabt hätte: »Aberkennung der Witwenrente, Entzug des Sorgerechts für ihre Tochter, Abwendung der Familie von ihr, Schande über Schande im ganzen Freundeskreis, sie hätte ohne weiteres an den Bettelstab kommen können.«

Die Mysterien des Ruhms fragen nicht nach Verdienst und Bedeutung. Vielleicht haben sie auch nur eine andere, sehr indirekte Art zu fragen. Caroline, das bevorzugte Professorenkind aus Göttingen, antwortet jedoch immer direkt. Kein Werk ist von ihr überliefert, etwa eines wie Friedrich Schlegels »Lucinde«, dieser erotische Traum, der sich in Dichtung verwandelt - und dabei von Caroline inspiriert ist.

Werklos unsterblich werden? Da ging es Caroline Schlegel-Schelling wie ihren romantischen Schwestern Bettine Brentano, Karoline von Günderrode, Rahel Varnhagen oder Henriette Herz. Letztere führten immerhin bekannte Salons. Aber eine Salondame zu sein, ist das nicht auch nur eine gehobene Art von Hausfrauendasein?

Caroline ist beides: nicht nur Moderatorin (etwa des Romantikerkreises in Jena), sondern auch inspirierte Anstifterin zu Freiheit, sowohl im ganz Privaten, wie auch im Großen und Ganzen. Im »Atheismusstreit« um Fichte setzt sie sich jenes »Jakobinerkäppchen« wieder auf, das sie einem ihrer Briefpartner eben noch erbost an den Kopf werfen wollte. Wenn Fichte verurteilt wird, dann sind wir den Scheiterhaufen der Inquisition wieder sehr nah, so lässt sie ihre Freunde wissen.

Den ebenso talentierten wie ehrgeizigen Frauen blieb nach außen nur die Rolle der helfenden Ehefrau. Caroline schreibt mit an Augusts Werk, man munkelt über die Shakespeare-Übersetzungen August Wilhelm Schlegels so einiges. Vor allem aber verfasst sie Briefe, so frisch und - selbst in schwersten Krisen - auf launige Weise übermütig, dass man als Leser heute immer noch fasziniert ist. Sigrid Damm hat sie 1979 bei Reclam Leipzig, mit einer überaus erhellenden Einleitung versehen, herausgeben. Carolines Briefanfänge suchen ihresgleichen, zeigen ein journalistisches Talent, das man nicht lernen kann, sondern in sich tragen muss.

Sie schreibt an alle in der gleich unbekümmerten Weise, an Eltern und Jugendfreunde, an Goethe, Schiller, Novalis oder Georg Forster, wir sind schließlich alle nur Menschen. Es ist die Fähigkeit, durch Schnelligkeit der Formulierung zu überrumpeln. Das sind Briefe, die ihre Elastizität bewahrt haben, immer auf schnellstmögliche Weise ins Ziel zu kommen verstehen. Short Stories aus dem Stoff des eigenen Lebens. Aus der eigenen Lebensenge exiliert sie mittels poetischer Selbststeigerung ins Offene. Und so heben einige dieser Briefe an: »Meisterin brodloser Künste - unholdiger Geist, ich beschwöre Dich, schick mir keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas zu lesen in gothischen Buchstaben. Ich bitte Dich um Brod, und Du giebst mir Stein.« (an Lotte Michaelis). »Dein Mann ist ein falscher Prophet, meine liebe Louise« (an Luise Gotter). »Hier saß ich um zu schreiben, ich weiß nicht mehr an wen ...«

Die große Begegnung ihres Lebens aber steht noch aus. Es ist die mit Schelling, dem Philosophen. Ihn heiratet sie, nachdem sie sich von August Wilhelm Schlegel hat scheiden lassen. Der junge Philosoph ist vierundzwanzig, sie fünfunddreißig. Karl Jaspers wird dann auch konstatieren, Schelling sei der einzige unter den großen Philosophen gewesen, für den »eine Frau durch ihre Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung« war. Barbara Sichtermann, von der es im Jubiläumsjahr ebenfalls eine neue Lebensbeschreibung Carolines gibt, sieht in ihr vor allem den Typus der Kritikerin: »Das Fabulieren lag ihr nicht, das Rezensieren sehr. Und sie liebte es zu karikieren und zu parodieren.«

Aber auch die romantische Ironie (wer sagt eigentlich, Frauen seien unbegabt für Ironie?) kommt in Caroline zur hohen Blüte. In ihrem letzten Lebensjahr, 1809, tritt eine weitere Frau in die intellektuellen Männer-Zirkel ein, um dort pures Chaos zu stiften: Bettine Brentano. Caroline beschreibt ihr Entzücken über dieses unmögliche Weib: »Manche fürchteten sich ihretwegen hinzugehen, denn nicht immer gerät ihr Witz, dann kann sie wohl sehr grob seyn und lästig. Unter dem Tisch ist sie öfter zu finden wie drauf, auf dem Stuhl niemals. Du wirst neugierig seyn zu wissen, ob sie dabei hübsch und jung ist, und das ist wieder drollicht, daß sie weder jung noch alt, weder hübsch noch häßlich, weder wie ein Männlein noch wie ein Fräulein aussieht.«

Die Musen sind dabei, sich zu emanzipieren - aber anders als bei den vielen Frauenrechtlerinnen, die noch kommen sollten, kennt bei Caroline Schlegel-Schelling die Wehrhaftigkeit nicht nur kritischen Furor, auch Poesie und Selbstironie.

Sabine Appel: Caroline Schlegel-Schelling - Das Wagnis der Freiheit, C. H. Beck. 287 S., geb., 19,95 €.
Barbara Sichtermann: Ein freies Frauenzimmer - Caroline Schlegel-Schelling, edition ebersbach, 138 S., geb., 15,80 €.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal