nd-aktuell.de / 02.09.2013 / Sport / Seite 20

Ein überglücklicher Verlierer

Premiere in der 92-jährigen Geschichte des ISTAF im Berliner Olympiastadion mit Happy End

Jürgen Holz
Das 72. Internationale Stadionfest (ISTAF) der Leichtathleten im Berliner Olympiastadion vor 50 000 Zuschauern bot wieder einmal erstklassigen Sport, für den vor allem elf Weltmeister von Moskau sorgten.

Das Internationale Stadionfest steht für gute Leichtathletik. Was diesmal jedoch in einem der 15 Wettbewerbe geboten wurde, hatte es in der 92-jährigen Geschichte des ISTAF noch nie gegeben. Im Diskuswurf der Männer trafen zwei große Sieger von London 2012 aufeinander. Der diesjährige Weltmeister Robert Harting (28) aus Berlin, Olympiasieger und dreifacher Weltmeister, und der gleichaltrige Sebastian Dietz aus Herford, Paralympicssieger 2012, seit Juni Weltmeister von Lyon und mit seiner WM-Siegweite von 42,18 m auch Weltrekorder - der erste Über-40-m-Werfer der Welt in seiner Behindertenklasse.

Es war natürlich von vornherein ein ungleiches Duell zwischen einem nichtbehinderten und einem Werfer mit Handicap, so dass Dietz schon zu Beginn weitenmäßig als Verlierer feststand. »Ich bin ein überglücklicher Verlierer und total happy, dass ich beim ISTAF vor so einer Kulisse starten durfte«, bekannte er aber und fügte etwas pathetisch hinzu: »Es geht mir darum, eine Botschaft zu vermitteln. Der Behindertensport hat einen schwierigen Stellenwert. Ein solcher Wettkampf wie beim ISTAF ist eine Chance, zu zeigen, dass der Behindertensport an Zugkraft gewinnt. Das ist mein Ziel.«

Dietz war einst ein talentierter Fußballtorwart beim VfL Neustadt und hatte sogar ein Angebot vom Bundesligisten 1. FC Kaiserslautern, ehe ein Autounfall im Februar 2004 seine sportlichen Träume über den Haufen warf. Der damals 19-Jährige war auf dem Weg zur Arbeit, als er die Kontrolle über sein Auto verlor und in ein entgegenkommendes Fahrzeug raste. Die Folge: inkomplette Querschnittslähmung.

Die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung, jemals wieder laufen zu können. Doch Dietz kam nicht zuletzt dank seines enormen Willens wieder auf die Beine. Er ist an mehreren Gliedmaßen gelähmt und ohne Gefühl in der linken Körperhälfte, doch der Rollstuhl ist ihm erspart geblieben. »Durch den Sport«, sagt Dietz, »habe ich wieder zurück ins Leben gefunden. Es gibt ja nicht viele Sportarten, die ich als Gelähmter betreiben kann. Das Diskuswerfen hat mir sozusagen das Leben gerettet.«

Nun war Sebastian Dietz der erste behinderte Athlet, der beim ISTAF startete - und das in einem Duell zweier Freunde. »Robert hilft mir viel. Wir haben im Sommer im Bundesleistungszentrum in Kienbaum sogar zusammen trainiert. Er unterstützt mich auch bei der schwierigen Sponsorensuche. Ein super Typ«, schwärmt Dietz. »Ich habe großen Respekt vor Sebastian und will ihm helfen, wo ich kann«, erwiderte Harting, der im Olympiastadion, seinem »Wohnzimmer«, wie er sagt, als deutscher Vorzeigeathlet und Lokalmatador geradezu enthusiastisch gefeiert wurde.

Für den einzigartigen Wettkampf, bei dem Dietz aus dem Stand und ohne jede Drehung warf, sollten ursprünglich gelbe Linien im Wurfsektor die durchschnittliche Weite der zuletzt fünf besten Würfe markieren, um die höchst unterschiedlichen Weiten von Harting und Dietz ein wenig vergleichbarer zu machen. Leider blieb es bei dieser Ankündigung der Organisatoren. Am Ende war Dietz mit 39,77 Metern mehr als zufrieden und Harting distanzierte mit einer Spitzenweite von 69,02 Metern auch die nichtbehinderte Konkurrenz um Polens Vizeweltmeister Piotr Malachowski um fast drei Meter.

Nach der Premiere kündigte Meetingdirektor Gerhard Janetzky an: »Im nächsten Jahr wird es einen Wettkampf geben, an dem zur Hälfte Nichtbehinderte und Behinderte teilnehmen.«

Von den übrigen drei deutschen Weltmeistern wurde Speerwerferin Christina Obergföll in ihrem letzten Wettkampf vor der geplanten einjährigen Auszeit Dritte beim Sieg der Russin Maria Abakumowa, die sich mit Meetingrekord und Weltjahresbestleistung von 70,53 m für ihre WM-Pleite revanchierte. Kugelstoßer David Storl steigerte sich im vierten Versuch auf die Siegweite von 20,91 m, und im Stabhochsprung verletzte sich Champion Raphael Holzdeppe beim Einspringen.