nd-aktuell.de / 27.12.2005 / Wirtschaft und Umwelt
Durch das soziale Netz gerutscht
Vom Leben ohne Krankenversicherung
Anke Engelmann
Krankenkassen sind für alle da, sollte man meinen. Doch es ist sehr leicht, aus dem sozialen Netz zu fallen - viel leichter, als wieder hinein zu kommen.
So hatte sich das Benjamin H. nicht vorgestellt: Zwar hat er seinen Doktor in der Tasche, doch seitdem schlägt er sich von Projekt zu Projekt über die Runden. Arbeitslos hat er sich nicht gemeldet, weil er keine Lust auf den Hartz IV-Stress hatte. Dafür zahlt er einen hohen Preis, denn in der Krankenkasse ist er schon lange nicht mehr. Die hat ihn drei Monate, nachdem er mit seinem Abschluss seinen Studentenstatus verloren und mit seinem unregelmäßigen Einkommen die hohen Beiträge nicht zahlen konnte, rausgeworfen. Und zurück kommt er nicht mehr.
Benamin H. ist kein Einzelfall. Etwa 1,3 Millionen Menschen schlagen sich hierzulande ohne Krankenversicherung durch, so die Zeitschrift FINANZtest. Darunter sind immer mehr Erwerbstätige, hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden. Durchs soziale Netz rutschen Leute in prekären Jobs, aber auch Selbstständige, die pleite gegangen sind, Geschiedene, die zuvor über ihren Partner mitversichert waren, Erwerbslose, die kein Arbeitslosengeld bekommen, und Migranten. So lange man gesund ist, mag alles gut gehen. Doch Menschen ohne Krankenversicherung müssen alles aus eigener Tasche bezahlen - von der Zahnbehandlung bis zur Blinddarmoperation.
Der Realität wird das deutsche Krankensystem, das auf dem Normal-Arbeitsverhältnis und der Familienversicherung beruht, schon lange nicht mehr gerecht, so die Experten der Stiftung. Sie fordern eine »Versicherungspflicht für die gesamte Wohnbevölkerung«. Zumindest solle der Zugang zur gesetzlichen Versicherung für einzelne Personengruppen erleichtert werden. Denn der Gesetzgeber hat hohe Hürden aufgetürmt, um Missbrauch zu verhindern.
Wer aus der Pflichtversicherung herausfällt, muss sich freiwillig versichern. Das geht nur mit einer »Vorversicherungszeit« - zwölf Monate lückenlos oder 24 Monate in den letzten fünf Jahren. Und wer dann zwei Monate die Beiträge nicht zahlen kann, fliegt - so schreibt es das Sozialgesetzbuch vor. Der einfachste Weg zurück führt über eine Anstellung per Lohnsteuerkarte. Allerdings nicht für alle: Wer älter als 55 Jahre alt ist und innerhalb der letzten fünf Jahre nicht gesetzlich versichert war, hat auch damit keine Chance.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/83209.durch-das-soziale-netz-gerutscht.html