Rein in die Kartoffeln

Bundestagsabgeordnete diskutierte Bodenreform mit dem Botschafter von Ecuador

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Botschafter Jorge Jurado den Potsdamer Park Sanssouci besucht und auf der Grabplatte von Friedrich II. die zum Gedenken an den König abgelegten Kartoffeln betrachtet, dann ist er frohgemut. Der Gesandte der Andenrepublik Ecuador sieht dann eine Feldfrucht vor sich, die aus seiner Heimatregion stammt und gleichsam die stärkste kulturelle Bindung zwischen Südamerika und Brandenburg darstellt. »Dort liegen keine Blumen, sondern Kartoffeln. Friedrich der Große hat sie in Preußen eingeführt«, sagt Jurado, der in Potsdam wohnt und seit zweieinhalb Jahren sein Land als Botschafter in Berlin vertritt.

Aus dem Speiseplan der Deutschen ist die Kartoffel heute nicht mehr wegzudenken. »Ich bin froh, dass wir euch geholfen haben«, bemerkte der Botschafter augenzwinkernd, als er am Montagabend im märkischen Ackerbürgerstädtchen Kyritz zu Fragen der Bodenreform in Ecuador Stellung nahm. Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann (LINKE) hatte den Ort in ihrem Wahlkreis nicht von ungefähr für diese Veranstaltung ausgesucht. Denn in Kyritz wurde im Sommer 1945 die demokratische Bodenreform eingeleitet. Ihre Ergebnisse sind nach der Wende durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, gleichwohl ist die Bodenreform Gegenstand heftiger politischer und ideologischer Auseinandersetzungen bis zum heutigen Tage.

Diplomat Jurado erläuterte, dass die linksgerichtete Regierung in Ecuadors Hauptstadt Quito derzeit in einem umfassenden Prozess Land an landlose oder landarme Bauern übergeben wolle. Rund 40 000 Hektar hätten schon ihren neuen Eigentümer gefunden, rund eine Million Hektar und vielleicht noch mehr sollen es noch tun. Dabei handle es sich um Ländereien, die in vergangenen Jahrhunderten dem einst größten Landbesitzer in Südamerika, der katholischen Kirche, entzogen worden seien, ferner um Ländereien von Drogenbaronen oder um Land, das bankrotte Banken nach der Finanzkrise 1999/2000 dem Staat verpfänden mussten. Ferner dreht es sich um Acker, der fünf oder mehr Jahre brach gelegen hat.

Laut Botschafter soll die Ungerechtigkeit beendet werden, dass Angehörige einer winzigen Oberschicht »anderthalb Provinzen besitzen« und die zumeist indigene Bevölkerungsmehrheit auf dem Lande fast nichts. Großen Aufschwung habe die Bewegung in Lateinamerika durch das kubanische Beispiel erhalten. »Ein Kampf um Würde und Gerechtigkeit konnte beginnen, der bis dahin unmöglich schien.«

Gerade von ostdeutschen oder auch osteuropäischen Erfahrungen ließe sich etwas lernen, kam im Verlauf der Debatte heraus. In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands begann nach dem Zweiten Weltkrieg die Enteignung von Land, das Nazis und Kriegsverbrechern gehört hatte oder Leuten, die mehr als 100 Hektar besaßen. Dabei hat es auch Unrecht und schwere Verletzungen gegeben, betonte die Abgeordnete Tackmann, ohne zu vergessen, dass der Grundcharakter der Bodenreform dennoch ein demokratischer war und die Ungerechtigkeit in der Eigentumsverteilung gemildert wurde. Nach wie vor sei dies die zentrale Frage: »Wem gehört der Boden?«

In Bluhm›s Hotel saßen alte und neue Genossenschaftsbauern im Saal. Sie erfuhren, dass in Lateinamerika die ostdeutsche Bodenreform und auch die sich später anschließende Kollektivierung in der Landwirtschaft in Südamerika aufmerksam und anerkennend studiert worden ist. »Vor allem der Umstand, dass die DDR ihre LPG technisiert hat und die benötigten Fahrzeuge sowie Maschinen dafür auch selbst herstellte«, erklärte der Botschafter.

Zur Sprache kamen auch die großen Fragezeichen, die sich mit einer Zerstückelung der Nutzflächen verbinden. Denn die Auflösung der sozialistischen Agrarbetriebe in Rumänien und Bulgarien und die Rückübertragung des Ackers an Kleinbauern hat dazu geführt, dass diese beiden Staaten, die früher Lebensmittel exportierten, sich heute nicht mehr selbst ernähren können. Dort beginnt ein Umdenken, sagte die Abgeordnete Tackmann und sprach von einer »Renaissance des Genossenschaftsgedankens«.

In der Andenregion gibt es noch den Einzelbauern, der mit Ochsengespann pflügt, räumte der Botschafter ein. »Während Ihre Bauern von der EU Hilfen erhalten, bekommt der Bauer in Südamerika überhaupt nichts.« Auch Kubas Landwirtschaft hatte nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa zu leiden und mit gewaltigen Ertragsrückgängen zu kämpfen. Man solle das Land nicht vereinzeln, sondern nur an Agrargenossenschaften übergeben, riet ein Mann aus dem Publikum.

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