Zur Wahl stehen Öl, Gas und Stoltenberg

In Norwegen deuten Umfragen auf eine künftige bürgerliche Mehrheit

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht eine generelle Unzufriedenheit, sondern vornehmlich der Wunsch nach neuen Gesichtern könnte nach Norwegens Wahl an diesem Montag den Regierungswechsel bringen.

Ein Wahlkampf so kühl wie der norwegische Sommer. Das Land verzeichnet geringe Arbeitslosigkeit, verfügt über hohe soziale Absicherung und gute wirtschaftlichen Aussichten - solange das schwarze Gold den Wohlstand sichert. Im Straßenbild muss man genau hinschauen, um einen Blick auf die Botschaften der Parteien werfen zu können. Sie unterscheiden sich in vielen Fragen nur graduell, aber nicht im Kern.

Mit einer Ausnahme wohl, die in hohem Maße die Zukunft Norwegens betrifft. Es geht um die Frage: Sollen die nördlichen Gebiete, insbesondere die fischreichen Gewässer um die Lofoten und perspektivisch auch die arktischen Seegebiete, für die Öl- und Gasförderung geöffnet werden?

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei zögert, während die Sozialistische Linkspartei (SV) und die Umweltpartei dagegen sind. Diese Parteien haben ihre Bastionen in Städten und insbesondere in der Hauptstadt Oslo. Die Küstenregionen wünschen größere wirtschaftliche Aktivitäten und stimmen mehrheitlich bürgerlich. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich seit Monaten ein Bild in den Meinungsumfragen ab, das den bürgerlichen Parteien eine Mehrheit zuweist und die Mitte-Links-Parteien nach acht Jahren Regierung in die Opposition schickt.

Der Grund für einen möglichen Regierungswechsel wäre mehr dem Wunsch zuzuschreiben, neue Gesichter zu sehen, als genereller Unzufriedenheit. Jens Stoltenberg, Ministerpräsident und sozialdemokratischer Parteivorsitzender, genießt weiterhin hohe Achtung. Seine Popularität erreicht aber nicht mehr die Höhen wie unmittelbar nach dem Breivik-Massaker. Dieses Verbrechen und dessen politische Einschätzung spielte keine Rolle im Wahlkampf.

Eine Wahlniederlage würde seitens der Sozialdemokraten den Koalitionspartnern SV und Zentrumspartei zugeschrieben werden, die einen verschlissenen Eindruck machen. Beide werden wie schon 2009 Stimmenverluste hinnehmen müssen, und in der Linkspartei herrscht gegenwärtig sogar Krisenstimmung, nachdem sich die Sozialisten lange Zeit um die Überwindung der Sperrgrenze von vier Prozent sorgen mussten. Ihre Hoffnung ist es, dass mancher Wähler im letzten Moment davor zurückschreckt, anders als sonst zu wählen. Bedenklich ist für die linken Parteien, dass sie im Durchschnitt schlechter als die bürgerlichen bei den »Schulwahlen« unter den älteren Schülern abgeschnitten haben.

Käme es zu einem Wechsel, könnte dies auch dem Umstand zugeschrieben werden, dass die vier konservativen und liberalen Parteien ungewohnt geeint erscheinen. Sie versprechen den Wählern nicht nur ein Weiterbestehen des Sozialstaates, sondern auch Stabilität. Tief greifende Änderungen insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik sind in diesem Fall nicht zu erwarten. Ihr wichtigster Beitrag zum Wahlkampf ist das Versprechen, Vermögens- und Erbschaftssteuer abzuschaffen oder zumindest zu verringern. Dies würde, wie die linken Parteien nicht müde werden zu warnen, die sozialen Unterschiede verschärfen, aber kaum zu größerem Aufruhr von unten führen.

In die Beurteilung der sozialen Situation der Norweger muss immer einbezogen werden, dass jeder von ihnen über den staatlichen Ölfonds Mitbesitzer eines Milliardenvermögens ist, das eventuelle Steuermindereinnahmen abfangen kann. Zudem hat der wirtschaftliche Boom der letzten Jahre für Zuwachs in den persönlichen Vermögen gesorgt.

Trotz des wenig dramatischen Wahlkampfes nehmen die Norweger ihre demokratische Pflicht ernst. Bis wenige Tage vor der Wahl hatten bereits 470 000 der rund 3,7 Millionen Berechtigten per Briefwahl gestimmt. Gleichzeitig wird in zwölf Kommunen - verstreut über verschiedene Landesteile - erstmalig die Internetwahl ausprobiert, um Erfahrungen für die Zukunft zu sammeln.

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