Im Megakampf mit Datenkraken

Zum siebten Mal wurde am Samstag in Berlin für »Freiheit statt Angst« demonstriert

  • Tim Zülch, Berlin
  • Lesedauer: 3 Min.
Etwa 20 000 Menschen haben am Samstag in Berlin gegen Computerüberwachung demonstriert - darunter selbst einer Abordnung der FDP. Andere Kundgebungsteilnehmer forderten den Rücktritt Angela Merkels.

Gelb, grüne und rote Ballons; dazu viele orange Fahnen. Dass Wahlkampf ist, merkte man deutlich bei der siebenten »Freiheit statt Angst!«-Demonstration, die sich gegen Überwachung und Datenspeicherung wandte. Bis auf CDU und SPD waren fast alle relevanten Parteien vertreten. Sogar die FDP kämpfte am Samstag in Berlin statt für Steuersenkungen einmal für Bürgerrechte. Insgesamt erschienen etwa 20 000 Demonstranten unterschiedlicher Couleur.

Vom Alexanderplatz zog der Demonstrationszug durch Berlin-Mitte zurück zum Alexanderplatz, wo auch die Abschlusskundgebung angesetzt war. Jacob Appelbaum, Internetaktivist und Freund von Wikileaks-Gründer Julian Assange, sagte: »Die Organisationen, die beauftragt waren, uns zu beschützen, haben nicht nur abgelehnt, dies zu tun, sondern sie haben aktiv unser Vertrauen missbraucht, unsere Privatsphäre zerstört und eine Welt geschaffen, in der wir alle weniger sicher sind.«

Geheimdienste lesen im Smartphone alles mit

Berlin (nd). Während in Berlin 20 000 Menschen gegen Überwachung demonstrierten, kam die Nachricht von der nächsten Enthüllung über die massenhafte Ausspähung durch Geheimdienste über den Ticker: Laut einem »Spiegel«-Bericht kann sich die US-Behörde NSA Zugang zu den Nutzerdaten von Smartphones aller gängigen Hersteller verschaffen. Dies gehe aus geheimen Unterlagen des Nachrichtendienstes hervor, welche das Magazin habe einsehen könne. Darin sei ausdrücklich von Geräten wie Apples iPhone, Blackberry-Produkten und Telefonen mit Googles Betriebssystem Android die Rede; dem Bericht zufolge kann die NSA »nahezu alle sensiblen Informationen eines Smartphones« auslesen, also Kontaktdaten, SMS, Notizen und auch den Aufenthaltsort des Besitzers.
Die Vizepräsidentin des Bundestags und Linksparteipolitikerin Petra Pau sprach mit Blick auf das inzwischen bekannte Ausmaß der Überwachung von »Orwellschen Züge«. Es gehe »um einen Generalangriff auf Bürgerrechte und die Demokratie«, kritisierte sie CDU und CSU, die in der Sache abwiegeln würden: »So überheblich können nur duldende Mitwisser sein.«
Zuvor hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder gegenüber der »Rhein-Zeitung« erklärt, absolute Sicherheit im Netz könne man in der Bundesrepublik nun einmal nicht garantieren. »Das Netz ist anfällig dafür, abgehört zu werden. Ich glaube nicht, dass wir die Internetnutzer hundertprozentig schützen können«, so Kauder, der damit den Eindruck zu erwecken suchte, dies habe die Regierung überhaupt versucht.

Appelbaum ist aktiv im Tor-Projekt, das anonymes Surfen ermöglicht, und er forscht zu Verschlüsselungstechnologien. Der Kampf, in dem wir uns befinden, sei ein »Megakampf«, der Menschen zukünftig ermöglichen werde, sicher zu kommunizieren, sagte er. Mittlerweile lebt Appelbaum in Berlin und hat eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland beantragt.

Deutlich wurde auf der Demonstration die Abwahl von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert. »Stasi-Merkel: Rücktritt jetzt«, stand auf einem Transparent. Rena Tangens vom Verein »digitalcourage«, der die Demonstration mitveranstaltete, drückte sich gewählter aus. »Ich finde es unverantwortlich, dass Merkel erklärt, ihr wäre es gleichgültig, wo die US-Infos herkämen, die wir in Deutschland zur Terrorbekämpfung nutzen.« Beispielsweise bei der sogenannten Sauerland-Zelle: Inzwischen sei bekannt, dass dieser der sichergestellte Sprengzünder von einem Spitzel übergeben worden sei. Es beängstige sie, dass man nicht wisse, wo die von den geheimen Datenkraken gesammelten Daten, hingelangten, sagte Tangens. »Dafür muss sich jedes Unternehmen aus Gründen der Abwehr von Wirtschaftsspionage interessieren.«

Der »Schockstarre«, die nach dem Bekanntwerden der systematischen Datensammlungen durch vor allem amerikanische und britische Dienste herrsche, wolle die Demonstration ein Ventil gegeben, meinte Tangens. Mit dem Argument »Ich habe ja nichts zu verbergen« sollten sich die Bürger nicht beruhigen. Und immer mehr Menschen werde das auch bewusst, sagte sie.

»Mich haben die Snowden-Enthüllungen nicht geschockt«, erklärte die Liedermacherin Dota Kehr, »eigentlich habe ich erwartet, dass genau das getan wird.« Wenn erst einmal alle Daten gespeichert seien, sei es für Staaten oder auch Unternehmen leicht, bei Bedarf irgendetwas Belastendes zu finden. Somit sei heute jeder erpressbar. Sie selbst verschlüssele ihre Kommunikation aber nicht, da ihr der nötige Sachverstand fehle.

Mittlerweile bekämen sogenannte Krypto-Parties viel Zulauf, berichtete ein Mitglied des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Bei solchen Veranstaltungen treffen sich bis zu hundert Teilnehmer, um etwa die Verschlüsselung von E-Mails oder die wirklich anonyme Nutzung des Internets zu erlernen. Veranstaltungen dieser Art werden oft von Piraten angeboten und können unter der Webseite www.kryptoparties.de gesucht werden. Jeder sei gefragt, sich mit Bedacht im Internet zu bewegen. Bei »digitalcourage« gibt es dazu Informationsmaterial.

»Freiheit ist nicht etwas, das die Regierung uns geben muss«, betonte Parker Higgins, der mit seiner Vereinigung »Electronic Frontier Foundation« seit fünf Jahren die USA verklagt, weil sie seiner Meinung nach die eigene Verfassung verletzen. Im Gegenteil, erklärte Higgins auf der Abschlusskundgebung: »Freiheit müssen wir uns erkämpfen.«

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