Das Weiß ist Form

»Südwärts« - Arbeiten auf Papier von Ursula Strozynski in der Galerie Pankow

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Strand«, »Kleiner Hafen«, »Isoletta de Moro« »Andalusien«, »Viareggio«, »Cordes«, »Südliche Kleinstadt«, »Kirche in Südfrankreich«, »Essaouira«, »Straße Marrakesch«, »Nachsaison« - so lapidar sind die Titel ihrer Kaltnadelradierungen, Collagen, Kohle-, Sepia- und Rötelzeichnungen wie Arbeiten in Mischtechnik. Es sind klare, reduzierte, auf das Wesentliche orientierte Architekturlandschaften aus dem mediterranen Raum: Urbane Räume, Häuser, Dächer, Kuppeln, Kirchen, Gassen, Plätze, Boote, Schiffsmasten, leere Strände. Nicht das menschliche Leben und Treiben interessiert die Berliner Malerin und Grafikerin Ursula Strozynski, sondern das Gebaute, Konstruktive, rhythmisch Strukturierte.

Von der Offenheit des Unbestimmten verläuft ihr Arbeitsvorgang zu erreichbarer Klarheit und Bestimmtheit. Der Strich als stützendes Gerüst wird zum Stützwerk, die Konstruktion schiebt sich vor die Darstellung. Auf das Ungerichtete folgt Verdichtung, Betonung, Definition. Die Ebenen stehen sich kontrapunktisch gegenüber oder sie werden verbunden, vernetzt. Gelegentlich bricht ein Strich in das Gespinst ein, klärt, bestimmt oder stört. Das eigentliche Thema tritt erst in der Endphase, im Zustand der Verdichtung und Verbindung der Ebenen in Erscheinung.

Es geht dieser Künstlerin nicht darum, »treffend« abzubilden, sondern zu strukturieren und zu erfinden. Aus der Notwendigkeit, die Wahrnehmung vielfältiger, sich gegenseitig bedingender Formen, Volumina, Zwischenräume, Strukturen, Größenverhältnisse, Überlagerungen neu zu ordnen, bedient sie sich des Positiv-Negativ-Prinzips, des Spiels zwischen Sujet und Grund. Die Annäherung an ein Sujet von außen, das bedeutet Aussparung, stets gleichberechtigt neben dem umgekehrten Verfahren. Das verbleibende Papierweiß verwandelt sich so vom Hintergrund in eine gleichberechtigte Bildform, ist, wenngleich weiß, doch definiert. Weiß ist also nicht unbezeichneter Rest, sondern bestimmte Form.

Dem Horizontalen, Vertikalen, Diagonalen als bestimmende Elemente ihrer Arbeit sind verdichtete, flächige oder sich in Bewegungsverläufen in die Flächen auflösende Texturen zugeordnet. Wichtig ist stets der Zusammenhang der Kleinstrukturen (Punkte, Striche, Linien, Tupfer, Wischer, Texturen, auch von Zeitungsfragmenten) mit der Gesamtanlage der Komposition. Das Fokussieren einzelner Elemente und der frei schweifende Blick ergeben so im ständigen Wechsel das Gesamtbild. Perfekt weiß diese Künstlerin das spannungsvolle, Raum, Licht und Farbe suggerierende Zueinander von gezeichneter Linie und freier Fläche zu demonstrieren.

Ursula Strozynski komplettiert die Szene nicht zum Genrebild. Ihre Blätter sagen viel, aber sie erzählen nicht. Mit sparsamstem Strich vermag die Künstlerin eine unverwechselbare Atmosphäre zu vermitteln. Sie schildert Zustände, nicht Begebenheiten, Zustände von Dingen und Erscheinungen in einem zugespitzten Stadium wechselseitiger Bedingtheit, und zwar so, dass die besondere Stimmung der Szene sich dem Betrachter so einprägsam mitteilt, dass er sie nie wieder vergisst.

Galerie Pankow, Breite Str. 8, Di-Fr 12-20 Uhr, Sa/So 14-20 Uhr, bis 22. September. Katalog.

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