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Früher war mehr Nacht

Sterne verschwinden im Licht der Städte

  • Jonas Mueller-Töwe, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Nacht ist nicht mehr das, was sie mal war: Künstliches Licht erhellt im weiten Umkreis der Städte den dunklen Himmel und bringt die Natur aus dem Gleichgewicht. Forscher und Hobby-Astronomen wollen »Sternenparks« errichten.

Essen/Gülpe. Als die Dämmerung hereinbricht, deutet Hobby-Astronom Thomas Gursch zum Himmel. »Dort ist bereits die Wega in der Leier zu sehen«, sagt er. Sein Finger wandert weiter: »Das ist der Atair im Adler, dort drüben der Deneb im Schwan«, beschreibt Gursch das sogenannte Sommerdreieck. Er und seine Vereinsfreunde an der Walter-Hohmann-Sternwarte in Essen haben schon ihre Teleskope aufgebaut. Der Himmel ist klar, nur das Blinken der Flugzeuge stört gelegentlich das Bild. Je dunkler es wird, desto mehr Sterne erscheinen - insgesamt werden etwa 200 bis 500 Himmelskörper heute Nacht zu sehen sein.

Im Grunde viel zu wenige: Das Licht der Städte verdrängt in den dicht besiedelten Regionen Deutschlands den Nachthimmel. Tausende Sterne gehen in den Lichtglocken über den Ballungsräumen verloren. »Deep-Sky-Objekte wie Gasnebel und Galaxien sind deswegen hier kaum zu sehen«, sagt Gursch.

Das Problem, mit dem die Sternenfreunde kämpfen, hat einen Namen: Lichtverschmutzung. Das Licht der Straßenbeleuchtung, der Werbeschilder, der Gebäudestrahler verschwindet nicht einfach im Himmel - Staub und Moleküle in der Atmosphäre streuen das Licht und sorgen so dafür, dass es im weiten Umfeld der Städte nicht mehr vollständig dunkel wird. Mittlerweile befassen sich Forschung und Naturschutz mit dem Phänomen. Sie sehen die Gesundheit der Menschen und die Artenvielfalt der Tiere bedroht.

Barbara Griefahn ist Chronobiologin am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund. Die Professorin untersucht gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern die Auswirkungen des hellen Nachthimmels. Eines der Ergebnisse: Licht in der Nacht beeinflusst den Hormonhaushalt des menschlichen Körpers. »Auch während des Schlafs nimmt das Auge Licht wahr und das hemmt die Produktion des Hormons Melatonin«, sagt Griefahn. »Wenn das Melatonin nicht genügend vorhanden ist, wird Tumorwachstum beschleunigt.« Besonders Menschen, die nachts arbeiten müssen, seien davon betroffen - doch auch Fernseher und Nachttischlampe können den Körper in seiner Regenerationsphase beeinträchtigen.

Für die Tierwelt ist die Lichtverschmutzung längst ein Problem, heißt es in einer Veröffentlichung des Bundesamtes für Naturschutz. Straßenbeleuchtung beispielsweise lockt in einem »Staubsauger-Effekt« nachtaktive Insekten an, die dort in einem Übermaß von anderen Tieren auf der Jagd erlegt werden oder nach Stunden vor den Leuchten verenden. Zugvögel verlieren die Orientierung und kommen vom Kurs ab und nachtaktive Räuber wie Fuchs und Fledermaus werden in ihrem Tag-Nacht-Rhythmus gestört.

Auch der Osnabrücker Astronom Andreas Hänel engagiert sich für den Schutz der Nacht. »Der Sternenhimmel ist ein wichtiges Kulturgut, das die Menschheit schon immer inspiriert hat - dazu verlieren wir nun den direkten Kontakt«, sagt Hänel. Zeitrechnung, Navigation, Relativitätstheorie: All das wäre ohne die Erforschung des Sternenhimmels undenkbar gewesen. »Das Betrachten der Sterne als Erlebnis könnte künftigen Generationen verloren gehen.« Die Einrichtung von Schutzgebieten, in den Lichtquellen reduziert werden, ist eines seiner Anliegen.

Für solch einen Sternenpark sprach sich Hänel am vergangenen Wochenende auch bei einem Astronomen-Treffen in Brandenburg aus: Der Ort Gülpe im Naturpark Westhavelland sei womöglich der dunkelste Ort Deutschlands, sagt der Wissenschaftler. Von dort aus können Fans die Milchstraße ohne großen Aufwand sehen. Bis zum Jahresende soll ein Antrag auf Ausweisung des Gebiets als internationaler Sternenpark gestellt werden. Das Siegel für besonders nachtdunkle Regionen wird weltweit von der »International Dark Sky Association« in den USA vergeben. »Deutschlandweit wären wir die Ersten, die als Sternenpark ausgewiesen würden«, betont Naturparkchefin Kordula Isermann.

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