Die Stalker sind unter uns

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Die Stalker sind unter uns

Der nächste »Tatort« fängt so an: Anruf bei der Kripo. Weibliche Stimme, atemlos: »Herr Kommissar, mir stellt einer nach! Der hängt vor meinem Fenster, und wenn ich das Haus verlasse, grinst er mir vom Laternenmast entgegen. Er hält sich für unwiderstehlich, heißt Zimmermann und ist von der CDU. Was will der Kerl?« - »Keene Ahnung.« - »Verhaften Sie ihn! Der Kerl ist ein Stalker! Und bringen Sie noch 100 000 Mann mit! Ich bitte um Polizeischutz für das ganze deutsche Volk …«

Erstaunlich, dass unsere Freund-und-Helfer-Polizei den Herzenswunsch eines einzelnen Volkes ignoriert. Sie macht keine Anstalten, auch nur ein einziges der Milliarden »Wahlplakate« zu entfernen. Flächendeckend ist jeder Quadratzentimeter unserer Heimat mit Steckbrieffotos zugepflastert, von Legislaturperiode zu Legislaturperiode werden es mehr. »Wehrt euch!« empfehlen sogar Plakate der Nazi-NPD, die in Regierungskreisen den demokratischen Parteien zugerechnet wird. Dies schließe ich daraus, dass die Kanzlerin sich Zeit lässt mit dem Verbotsantrag. So ermöglicht sie immerhin das freie Spiel des freien Wettbewerbs. Die Jusos plakatieren: »Nazifrei und Spaß dabei!« Die NPD kontert, für Migranten: »Guten Heimflug!« Für Rentner: »Geld für die Oma statt für Sinti und Roma!« Nazionale Kinderschänder haben ihre Freude am Foto eines blonden, blauäugigen Schulmädels samt Bildtext: »Natürlich deutsch!«

Die Gedankenwelt der Kanzlerin, die noch kürzlich als Mutti agierte, neuerdings aber als Oma performt, bricht sich Bahn in heimeligen Küchenplakaten. Ein Vater bäckt mit seinem Töchterchen christdemokratische Pfannkuchen, und Formulierungsvirtuosen texteten die dümmliche Bildunterschrift: »Jede Familie ist anders. Und uns«, also der CDU, »besonders wichtig.« Hauptsache, es wird gut gekocht. Mehr noch als Politik sind Kochen und Backen Lieblingshobbys der Kanzlerin. Zitat: »Mein Mann beschwert sich selten, nur auf dem Kuchen sind ihm immer zu wenig Streusel.«

Zum Vorzugspreis von 20 Millionen Euro hat sich die CDU Hunderttausende besonders einfältiger, inhaltsleerer Plakate drucken lassen, die alle auf dieselbe verschwiemelte Pointe hinauslaufen: »Gemeinsam erfolgreich!« Unter diesem Motto focht Angela Merkel im Fernsehen schon ein Hornberger Platzpatronen-»Duell« mit Steinbrück aus, bei dem der Oppositionskandidat ihr artig seine Sozialdemokraten für eine große K.o.alition andiente, und Sigmar Gabriel ehrte ihn dafür mit einem rustikalen Kompliment: »Peer, du bist ’ne coole Sau!«

Trotz solcher Emotionen besteht der Nachteil von TV-»Duellen« darin, dass der Zuschauer den Apparat jederzeit bequem ausschalten kann. Dem furchtbaren Anblick der Plakate dagegen entrinnt er nicht. »Das Wahlplakat spielt eine entscheidende Rolle«, so Coordt von Mannstein, Inhaber einer Werbeagentur, die gut daran verdient. Unverdrossen plakatieren die Ritter der Schwafelrunde kostspielige Sprüche, die selbst versetzungsgefährdete Förderschüler intellektuell weit unterfordern - Sprüche, die die Welt nicht braucht, Kokolores, Mumpitz, Propagandageschwurbel, Stuss aus einem Guss.

Die Kanzlerin, die unbegrenzt Eigenlob verkraftet, betritt mit ihrem neuen »sprechenden Plakat« erstmals digitales Neuland. Der Wähler kann, wenn er will, mit seinem Smartphone ihr Plapperpappplakat zum Sprechen bringen. Und dann sagt ihm die Kanzlerin, was sie immer sagt: »Es waren vier gute Jahre für Deutschland.« Schubidubidu - alles toll dank CDU …

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal