nd-aktuell.de / 10.09.2013 / Sport / Seite 19

Viele Wege führen zum Olymp

Thomas Bach will heute IOC-Präsident werden - Gipfelpunkt einer raffinierten Funktionärskarriere?

Jirka Grahl
Seit 1991 ist der Tauberbischofsheimer Fechtolympiasieger Thomas Bach schon Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, 2000 wurde er Vizepräsident. Heute geht er als Favorit unter den sechs Kandidaten in die Präsidentenwahl. Nicht nur in Deutschland indes wird das Wirken des 59-jährigen Olympia-Netzwerkers sehr kritisch gesehen.

Aller Anfang war simpel. Als das Internationale Olympische Komitee sich 1894 in Paris konstituierte, sahen die Statuten vor, dass der IOC-Präsident jeweils aus dem Land kommt, in dem die kommenden Spiele stattfinden. Weswegen der Grieche Demetrius Bikilas der erste IOC-Präsident wurde - nicht etwa der Gründervater der Olympischen Spiele der Neuzeit, Baron Pierre de Coubertin. Dreißig Olympiaden und sieben Präsidenten später ist nicht nur die Welt, sondern auch die Lage im IOC weitaus komplizierter: Unter sechs Kandidaten wählen die 96 stimmberechtigten unter 103 Mitgliedern den neuen Präsidenten ihres Vereins, der eigentlich ein Weltkonzern ist.

Wer den scheidenden Präsidenten Jacques Rogge in Buenos Aires bei seinen letzten Amtshandlungen als Pontifex maximus des Weltsports beobachtet, sieht einen ermüdeten Mann - womöglich nicht nur vom Alter. Rogge ist 71, Belgier, 2001 wurde er in Moskau zum Präsidenten gewählt. Unter ihm wuchsen die Rücklagen des Ringe-Vereins von 100 auf 900 Millionen Dollar, er installierte die Jugendspiele und versuchte sich in entschlossenem Kampf gegen die drei Geißeln des Sports: Doping, Korruption, Wettbetrug. Das IOC war ihm dabei eher im Wege denn hilfreich.

Lange bevor am Dienstag um 17.30 Uhr im hermetisch abgeriegelten Hilton Hotel der Name des neuen Präsidenten verkündet wird, hat Rogge sein Büro im Château de Vidy in Lausanne (Schweiz) geräumt. Gut möglich, dass von dort aus künftig ein Deutscher fungiert: Dr. Thomas Bach, 59. Fechter, Wirtschaftsjurist, Lobbyist, Sportvermarkter, Netzwerker, Firmenvorstand, Multifunktionär.

Vor der entscheidenden Abstimmung steht der Kandidat Bach allerdings noch in der Kritik: So unauffällig der Fechter seinen Aufstieg von der Planche in die Chefetagen des Weltsports vollzog, so angreifbar sind viele Momente seines Wirkens - als Sportler, Geschäftsmann oder Sportpolitiker.

Der WDR widmete Deutschlands mächtigstem Sportfunktionär eine 45-minütige Reportage, die ein wenig schmeichelhaftes Bild von Bach zeichnete. Schon als Fechter soll er manipuliert haben, behauptet dort ein Zeitzeuge, der in den 70er Jahren gegen Bach gekämpft hat - mit einem nassen Handschuh habe Bach die elektronische Trefferanzeige seines Anzugs außer Funktion gesetzt.

Nach Olympiagold mit der Mannschaft 1976 und der Promotion als Jurist 1983 machte Bach Karriere bei adidas, wohin ihn der umtriebige Firmenchef Horst Dassler höchstpersönlich holte - als »Direktor Internationale Promotion«. Zwei Jahre arbeitete Bach bei adidas eng mit Dassler zusammen, zeitgleich war Bach Athletensprecher im IOC. Heute weiß man, dass der adidas-Patriarch aus Herzogenaurach die Korruption im Weltsport in großem Stile aufzog. Die von Dassler gegründete Agentur ISL zahlte mehr als 100 Millionen Euro an Entscheidungsträger des Weltsports: Schmiergelder, wie 2008 ein Gerichtsprozess ergab.

In der Kritik steht FDP-Mitglied Bach auch als Präsident der »Ghorfa«, einer arabisch-deutschen Handelskammer. Dieser Verein aus Berlin »legalisiert« Handelsdokumente für den Warenimport arabischer Staaten, natürlich auch für Waffen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wundert sich über dieses Engagement des IOC-Vizepräsidenten, schließlich schere sich die »Ghorfa« nicht »um menschenrechtlich verantwortliches Unternehmensverhalten«.

Thomas Bachs stärkster Unterstützer im IOC kommt aus Kuwait. Scheich Ahmad Al-Sabah, Ex-Ölminister, heute Chef des Dachverbandes aller NOKs (ANOC). Ein Strippenzieher, der als Chef der IOC-Kommission »Olympische Solidarität« übrigens das Entwicklungshilfegeld verwaltet: 435 Millionen Dollar. Als Al-Sabah jüngst verriet, dass er für Bach kämpfe, schaltete sich die IOC-Ethikkommission ein - offener Wahlkampf ist verboten.

Gestern verstieß dagegen allerdings auch Dennis Oswald, 66, aussichtsloser Kandidat aus der Schweiz. Er wagte einen Seitenhieb Richtung Thomas Bach: »Ich möchte einen unabhängigen Kandidaten, der nicht auf bestimmte Allianzen angewiesen ist und der seine Position für nichts anderes nutzt als zum Wohle des Sports.«