Der Alltag bleibt gefährlich

Indisches Gericht spricht Vergewaltiger schuldig

  • Stefan Mentschel, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast neun Monate lang verhandelte das Sondergericht. Jetzt sprach es die Täter schuldig. Indische Frauenrechtlerinnen begrüßten das Urteil und fordern aber zugleich ein stärkeres Engagement der Politik im Kampf gegen Gewalt.

Den Eltern des Opfers standen am Dienstag nach der Urteilsverkündung die Tränen in den Augen. Kurz zuvor hatte ein Sondergericht in der indischen Hauptstadt Neu Delhi die vier Angeklagten für schuldig befunden, im vergangenen Dezember ihre Tochter mit einem Bus entführt, vergewaltigt und so schwer misshandelt zu haben, dass sie an ihren Verletzungen starb. Das Strafmaß soll in den kommenden Tagen bekanntgegeben werden. Den Verurteilten im Alter von 19 bis 26 Jahren droht die Todesstrafe.

Das sei die »einzig mögliche Strafe für die Männer, die ein solch abscheuliches Verbrechen begangen haben«, erklärte der Bruder des Opfers am Dienstag. »Wir werden nichts anderes akzeptieren, auch keine lebenslange Haftstrafe.« Das Urteil stützt sich vor allem auf die Aussage des Freundes des Opfers, der mit im Bus war und verprügelt wurde, sowie auf die Erklärung der 23-jährigen Studentin auf dem Sterbebett. Die Verteidiger der Täter kündigten dagegen an, den Schuldspruch juristisch anzufechten.

Bereits Ende August hatte ein Gericht einen minderjährigen Tatbeteiligten zu drei Jahren Arrest verurteilt, der Höchststrafe nach indischem Jugendstrafrecht. Der mutmaßliche Haupttäter war im März erhängt in seiner Zelle im Delhier Tihar-Gefängnis gefunden worden. Wärter sprachen von Selbstmord. Die genauen Todesumstände wurden jedoch bislang nicht offiziell geklärt.

Die brutale Vergewaltigung und der Tod der jungen Frau hatten Massenproteste in ganz Indien ausgelöst. Wochenlang gingen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten auf die Straße. Die Medien berichteten ausführlich und boten die Plattform für eine Debatte über sexuelle Gewalt und die Rolle von Frauen und Mädchen in der indischen Gesellschaft. Sicherheitsbehörden und Regierung sahen sich auch aufgrund des starken öffentlich Drucks gezwungen, den Prozess schnell auf den Weg zu bringen und das bestehende Strafrecht zum Teil erheblich zu verschärfen.

Frauenrechtlerinnen begrüßten den Schuldspruch. Oftmals würden Vergewaltiger nicht für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, erklärte Ranjana Kumari, Direktorin des Zentrums für Sozialstudien in Delhi. Eine hartes Urteil gegen diese Männer könne daher die Botschaft aussenden, »dass es keinerlei Toleranz bei sexueller Gewalt gegen Frauen gibt und die Vergeltung schnell und heftig kommt«. Nach Angaben von Aktivistinnen sind vor indischen Gerichten noch immer mehr als 100 000 Verfahren wegen sexueller Gewalt anhängig. Allein 2012 gab es laut offizieller Kriminalstatistik fast 25 000 Vergewaltigungen im Land. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, da viele Opfer aus Scham oder Angst vor einer Anzeige zurückschrecken.

»Der Alltag der indischen Frauen bleibt gefährlich«, beklagt Nandini Rao vom Bürgerkollektiv gegen sexuelle Gewalt in Delhi gegenüber »nd«. Fast täglich gebe es Meldungen von Übergriffen. Politiker äußerten sich dann zumeist tief betroffen, doch diese Betroffenheit werde nicht in politisches Handeln übersetzt. »Außerdem fehlt es an politischem Willen, die gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt gegen Frauen zu benennen und zu beseitigen.« Auch der viel beachtete Prozess gegen die Vergewaltiger von Delhi habe daran bislang kaum etwas geändert.

Foto: dpa/Harish Tyagi

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