Aufbruch der Ernüchterten

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Als sich die »American Federation of Labour - Congress of Industrial Organizations« (AFL-CIO) vor vier Jahren zum Gewerkschaftstag versammelte, war Barack Obama noch frisch im Amt. Hoch flogen damals die Hoffnungen - der 11,5 Millionen Mitglieder aus 57 Gewerkschaften zählende Verband war ein Aktivposten der ersten Obama-Kampagne gewesen.

Es folgte die Ernüchterung: Erst scheiterte Obama mit dem Versuch, Gewerkschaftsrechte zu stärken und deren Anerkennung als Tarifpartei zu erleichtern, am republikanischen Kongress. Dann gingen reaktionäre Bundesstaaten dazu über, in ihrer Reichweite befindliche Gewerkschaftsrechte zu schleifen - etwa Wisconsin, Indiana und sogar Michigan, der traditionelle Standort der Automobilindustrie. Statt also einen großen Schritt nach vorne zu schaffen, verstrickte sich die amerikanische Gewerkschaftsbewegung in den Obama-Jahren notgedrungen in weiteren Abwehrschlachten, die nur teilweise erfolgreich verliefen.

Mit einer nun beim Gewerkschaftstag in Los Angeles beschlossenen Öffnungsagenda versucht die AFL-CIO, sich an diese Realitäten auch eines von Demokraten regierten Amerika anzupassen und ihre Kräfte in einer neuen Weise einzusetzen: Da in der US-amerikanischen Öffentlichkeit individuelle Diskriminierung anhand von Ethnizität oder Geschlecht viel leichter zu skandalisieren ist als ein Angriff auf kollektive Rechte, versucht sich der Dachverband zumindest in Teilen als Bürgerrechtsorganisation neu zu erfinden.

Dafür steht die Annäherung an Organisationen wie die für Afroamerikaner streitende NAACP, die Frauenorganisation NOW oder den Umweltverband »Sierra Club«, die Verbandschef Richard Trumka auf dem dreitägigen Kongress in Los Angeles ankündigte. Die AFL-CIO will beispielsweise massiv gegen bundesstaatliche Wahlgesetze vorgehen, die die Zahl »schwarzer Stimmen« senken - und sich mit Nachdruck für ENDA einsetzen, eine Initiative, die Schwule und Lesben vor Diskriminierung im Job schützen soll und in 18 der 50 Bundesstaaten Gesetz ist. Auch mit Grassroots-Gruppen, die jenseits klassischer Gewerkschaftsarbeit agieren, soll enger kooperiert werden.

So könnte die AFL-CIO auch Brücken zu den mittlerweile 4,5 Millionen Gewerkschaftern bauen, die sich 2005 in der »Change to Win«-Koalition um die Dienstleistungsgewerkschaft SEIU abgespalten hatten. Neben dem Vorwurf, zu viel Geld für Lobbyarbeit zu verpulvern, war die symbolische Übermacht des weißen, mittelalten Mannes in der AFL-CIO ein wichtiger Grund für dieses Schisma.

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