nd-aktuell.de / 20.09.2013 / Sport / Seite 19

Pechstein will abseits des Eises Sportgeschichte schreiben

Die Olympiasiegerin bekräftigte am Donnerstag in Berlin ihr Streben nach Rehabilitation - verhandelt wird in München

Nikolaj Stobbe, SID
Es könnte der größte Schadensersatzprozess der deutschen Sportgeschichte werden, der zudem die internationale Sportgerichtsbarkeit aushebelt. Claudia Pechstein reist mit gar nicht so schlechten Argumenten zum Münchner Landgericht.

Claudia Pechstein steht vor dem Finale ihres jahrelangen Kampfes um Rehabilitation. Die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin fordert wegen ihrer zweijährigen Sperre ab Mittwoch vor dem Münchner Landgericht vom Weltverband ISU und der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) eine einstellige Millionensumme an Schadensersatz. »Das ist der größte Fall, der in dieser Art in Deutschland verhandelt wurde und wird bestimmt Sportgeschichte schreiben«, sagte Pechsteins Anwalt Thomas Summerer am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin. Der Münchner Advokat hatte 1996 schon 1,2 Millionen DM für die ehemalige Leichtathletin Katrin Krabbe rausgeholt.

Die Bundespolizistin Pechstein, die in blauer Dienstuniform erschien, gab sich 959 Tage nach Ablauf ihrer Sperre zuversichtlich. »Ich bin stolz darauf, dass wir so weit gekommen sind. Ich freue mich darauf, dass mein Fall endlich von einem deutschen Zivilgericht behandelt wird«, sagte die 41-Jährige. Die Berlinerin, die mittlerweile wieder zur Weltspitze gehört und im Februar in Sotschi ihre sechsten Olympischen Spiele erleben will, war 2009 wegen erhöhter Blutwerte und ohne positiven Dopingtest von der ISU für zwei Jahre gesperrt worden.

Am Mittwoch wird das Landgericht in München prüfen, ob es den Fall überhaupt annimmt. Sollte es so sein, wird der Richter wohl einen Vergleich vorschlagen. »Wenn da etwas Vernünftiges von der ISU kommt, insbesondere eine Entschuldigung mit Schadensersatz, würden wir darauf eingehen«, sagte Summerer. Die Dauer des Verfahrens hängt davon ab, wieviele Zeugen vernommen werden müssen. Sollte das Gericht ablehnen, zieht Pechstein vor das Oberlandesgericht.

Dass die massiven Geldforderungen die Verbände an den Rand ihrer Existenz bringen könnten, beunruhigte Pechstein nicht. »Ich muss dabei in erster Linie an mich denken«, sagte sie. Obwohl insbesondere die DESG finanziell aus dem letzten Loch pfeift, wollte Summerer von einer möglichen Liquidation nichts wissen. »Da gibt es ja auch noch Dachorganisationen, wie den DOSB, die in solchen Fällen einspringen könnten.«

Die DESG zumindest reagierte gelassen auf die Klage. »Das ist eine Situation, die wir nicht verursacht haben. Der Kompliziertheit liegt ein Fehlurteil zu Grunde«, sagte DESG-Präsident Gerd Heinze, der Pechstein stets unterstützte. Der Weltverband indes äußerte sich - wie in all den Jahren - nicht. »Dort geht man davon aus, dass der Fall durch das Sportgericht in der Schweiz abgeschlossen ist«, sagte Summerer.

Pechsteins Strategie zielt auf ein möglicherweise fehlerhaftes Vorgehen des Internationalen Sportgerichtshof CAS ab. Der CAS als letzte sportgerichtliche Instanz hatte die zweijährige Sperre von Pechstein wegen angeblichen Blutdopings bestätigt. »Wir halten den CAS für kein echtes Schiedsgericht. Wir haben den CAS als Institution angegriffen, weil er weit hinter den rechtstaatlichen Standards deutscher Gerichte zurücksteht«, sagte Summerer.

Pechsteins Anwalt listete eine Mängelliste auf, die das Verhalten des Sportgerichtshofs ausgezeichnet haben soll. So sei Hauptgutachter Dr. Pierre Sottas zur Hauptverhandlung gar nicht erschienen - womöglich weil er kurz zuvor erklärt hatte, dass die erhöhten Blutwerte bei Pechstein nicht allein auf Doping zurückzuführen seien. Und ISU-Gutachter Giuseppe D›Onofrio hatte gerade am Mittwoch erstmals erklärt, dass bei der Läuferin die vom Vater vererbte Blutanomalie Grund für die Blutwerte sein könnte. »Alle Gutachter sind eingeknickt«, blickt Summerer zuversichtlich voraus.