nd-aktuell.de / 21.09.2013 / Kultur / Seite 25

»Ich mag den Müll in den Vorstädten«

Die Goldenen Zitronen über Hanns Eisler, Neubausiedlungen, Adorno und Alternativen für Deutschland

nd: Geht ihr am Sonntag zur Bundestagswahl?

Ted Gaier: Das sage ich dir nicht.

Schorsch Kamerun: Die Frage ist doch, ob man überhaupt wählen gehen sollte.

Habt ihr eine Empfehlung für die Bundestagswahl?

Schorsch Kamerun: Das sagen wir nicht.

Ted Gaier: Ich wähle natürlich die Linkspartei.

Mense Reents: Ich wähle auch die Linkspartei.

Ted Gaier: Ich hätte gerne SED gewählt, wenn es möglich gewesen wäre.

Ja?

Ted Gaier: Quatsch, das war ein blöder Gag auf Kosten des »neuen deutschland«.

Schorsch Kamerun: Ich wähle diese neue marktliberale Partei. Wie heißt die?

Ted Gaier: »Die LINKE«?

Mense Reents: Alternative für Deutschland?

Schorsch Kamerun: Die wähle ich. Alternative für Deutschland ist ein Spitzenname, oder? Das ist köstlich, dass die sich so nennen. Vor 15 Jahren hätten die sich nie »alternativ« genannt. Das Wort »alternativ« ist mittlerweile einfach ein werbestrategisches Wort. Heute wird selbst für Autos mit dem Begriff »alternativ« geworben.

Was ist denn die Alternative zum Wählengehen?

Ted Gaier: Es gibt ja den schönen Spruch, man möge seine Stimme lieber erheben anstatt sie abzugeben. Aber man kann ja trotzdem wählen gehen, wenn man meint, aus strategischen Gründen würde es Sinn haben, eine Partei zu wählen.

Schorsch Kamerun: Oder Nichtwähler zu sein.

Ted Gaier: Ich finde nicht, dass man fundamental-anarchistisch sagen kann: Ich werde eh nur verarscht. Zumindest in der Regionalpolitik gibt es Leute, zu denen ich Vertrauen habe. Der Piratentyp in St. Pauli, nur mal als Beispiel, ist ganz okay, obwohl ich die Partei grauenvoll finde.

Schorsch Kamerun: Ich weiß, dass wir damals auf dem Dorf immer die Kommunisten gewählt haben.

Ted Gaier: Das war toll.

Schorsch Kamerun: Das waren dann zwei Stimmen, und wir wussten genau, wer das war.

Und dann wusste das ganze Dorf, wer die Kommunisten gewählt hat.

Schorsch Kamerun: Es war eine Irritation: »Was? Hier gibt es Kommunisten?« Das war einfach super. Ich komme aus einem Kaff, das den höchsten Anteil an CDU-Wählern in ganz Schleswig-Holstein hatte. Dann bringt’s das besonders.

Die Musik auf eurem neuen Album »Who’s Bad« verweigert sich dem schnellen Konsum.

Schorsch Kamerun: Wenn man wie wir irgendwann mal bei Hanns Eisler angekommen ist oder beim Kunstlied, dann sagen manche, mit Pop habe das nichts zu tun. Es gibt auch Leute aus Popkreisen, die dann sagen, sie kapieren das nicht.

Ted Gaier: Fun-Punk war ja eine subversive Idee: dass man Songs zum Mitsingen macht, die man doppelbödig präsentiert. Als Gegensatz zu Straight Edge und Hardcore. Gegen diesen verquasten puritanischen Hardcore kokettierten wir mit ironischer Volkstümlichkeit. Wir haben dann aber die Erfahrung gemacht, dass auf unseren Konzerten die falschen Leute mitgesungen haben, dass das eins zu eins angenommen wurde.

Ist das nicht ein bisschen desillusionierend?

Ted Gaier: Nach dem Mauerfall und infolge des aufkommenden Rassismus dachten wir: Jetzt kommen wir nicht mehr weiter mit Schlager-Persiflagen. Außerdem hatten wir das Gefühl, dass wir aus falschen Gründen populär sind. Wir haben uns überlegt, wie man mit deutschen Texten umgehen kann, um diesem Mitsingding zu entkommen. Was unterscheidet sozusagen einen Anti-Nazi-Song von einem Nazi-Song? Der Song »Allein machen sie dich ein« von Ton Steine Scherben hat die Textzeile: »Wir sind 60 Millionen, du bist nicht allein«. Das ist ja nicht aus Zufall von Neonazi-Bands gecovert worden. Da stimmt was nicht mit der Idee des Mitsingens. Da haben wir den Bruch gemacht mit den Mitsingrefrains. So wie Eisler sich auch Gedanken gemacht hat: Wie unterscheidet sich ein »linker Marsch« von einem rechten?

Schorsch Kamerun: Nazi-Rock kann ja genauso wie Punkrock klingen. Wir haben nach einer Form gesucht, die klarer ist.

Ted Gaier: Schon bei Eisler in den 20er Jahren haben sich Künstler, die sich für die KPD engagiert haben, gefragt: Wie können wir einen Marsch machen, der nicht im Gleichschritt funktioniert? Ich habe mal eine Dokumentation gesehen, in der ein Neonazi vor einem riesigen Tote-Hosen-Plakat saß und erklärte, warum er »Ausländer klatscht«. Die Toten Hosen sind ja integer, aber ästhetisch grenzt sich ihre Musik nicht ab. Und schwupp finden Nazis daran Gefallen.

Schorsch Kamerun: Wir bevorzugen eine Musik oder Ästhetik, die stadionuntauglich ist.

Auf »Who’s Bad« geht es um Kapitalismus, Kulturindustrie, Gentrifizierung usw. Kann man das Denken von Menschen verändern, indem man mittels Songtexten Kritik übt?

Schorsch Kamerun: Wir benutzen Pop, um uns einzumischen. Als Punker saß man da früher in seinem Kaff und kämpfte mit bestimmten Autoritäten. Und mit einer Band hast du die Möglichkeit, mittels Musik und Texten Dinge schnell und einfach zu formulieren.

Im Lied »Europa« singt ihr viel über Tristesse. Es geht um Autobahnen, Baumärkte, Industriegebiete, Fußgängerzonen.

Mense Reents: Das ist klassischer New Wave. Eine graue, fließende Tristesse, wie man sie von englischen Wave-Gruppen Anfang der 80er kennt.

Ihr hebt das Negative, das Kaputte hervor. Ist die Zertrümmerung des schönen Scheins eure künstlerische Strategie?

Ted Gaier: Wir sind halt 80er-Vögel. Ich finde Neonlicht nach wie vor schön. Ich fühle mich wohl im Neonlicht. Das war das Anti-Ding gegen das Hippieske und das Gutbürgerliche. Kaltes Neonlicht.

Mense Reents: Plastik.

Ted Gaier: Plastik. Zurück zum Beton.

Mense Reents: Etap-Hotels.

Ted Gaier: Ich stehe auf Etap-Hotels. Ich mag auch die angegammelte 70er-Jahre-Neubausiedlung. Ich mag die französischen Baumärkte in Italien und dieses abgeranzte, verbrannte Gras und den Müll, der da in den Vorstädten liegt.

Mense Reents: Europäische New-Wave-Romantik.

Ted Gaier: Athen, Portugal, Spanien, da denkt man natürlich sofort: Krise. Das ist ja auch mit drin im Text von »Europa«. Aber ich mag die Krise vielleicht auch. Das ist jetzt nicht Sozialkritik im klassischen Sinn. Die Idee war vielmehr, ein Stück zu haben wie »Trans-Europa-Express« von Kraftwerk. Wobei: Da gibt es natürlich so ein Lichtermeer und etwas Glamouröses. Und man trifft Iggy Pop und David Bowie am Hauptbahnhof in Düsseldorf.

Ihr zitiert aus Theorie, Politik, Literatur. Habt ihr zuweilen Bedenken, nur vom intellektuellen Prekariat verstanden zu werden?

Schorsch Kamerun: Man kann es zwar einen engen Diskurs nennen, aber wir fühlen uns wohl darin. Wir eignen uns eben für bestimmte Dinge nicht. Aber wir hätten auch nichts dagegen, wenn von uns etwas in der »Tagesschau« läuft. Das wäre ja nicht falsch.

Ted Gaier: Wir sind keine Intellektuellen und schreiben auch keine intellektuellen Texte. Die Gruppe FSK hat zum Beispiel einen Ansatz, der intellektualistischer ist. Aber bei uns hat niemand ein abgeschlossenes Studium.

Fühlt man sich nicht manchmal selbst wie die »Marke« Goldene Zitronen? »Die linke, ideologiekritische Band«, die »unverwechselbar« ist.

Schorsch Kamerun: Das bleibt nicht aus.

Ted Gaier: Wir sind die, die nicht mitmachen. Das ist unsere Marke (lacht). Ja, was sollen wir da machen?

Mense Reents: Eine Band, die eine fast 30-jährige Geschichte hat und auch tatsächlich für etwas steht innerhalb einer bestimmten Kultur in Deutschland.

Schorsch Kamerun: Auch Verweigerung ist Marke heutzutage. Außerdem ist es so, dass heute jeder aufgefordert ist, sich ständig zur Marke zu machen. Die Crux von Markenverweigerung ist: Auch sie kann anziehend sein oder am besten verkäuflich. Das Alleinstellungsmerkmal von heute kann auch eines sein, das sich große Mühe gibt, keines zu sein. Und damit hast du dann erst recht eines. Das haben die ja verstanden: Jeder große Sender nennt sich heute auch »Das etwas andere Radio«. Wie sollen wir eine »etwas andere Band« sein? Das geht ja gar nicht, damit stärkt man ja eher die eigene Marke. Deswegen finde ich den Adorno-Satz von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen weiterhin richtig.

Ted Gaier: Meiner Meinung nach wird der zu oft als eine Ausrede verwendet. Mit dem Adorno-Satz kann man sich ganz gut einrichten.

Schorsch Kamerun: Der Satz heißt aber auch nicht, dass man verbittert sein muss.

Ted Gaier: Man verändert den Lauf der Dinge zuweilen mit ganz kleinen Sachen, die man erkämpft. Wo das Prinzip, dass es so ist, wie es sein muss oder vorgesehen ist, sich als falsch erweist. Wie bei einem chemischen Experiment: Wenn die Versuchsanordnung nur geringfügig verändert wird, dann gibt es ein anderes Resultat. Insofern ist dieser Adorno-Satz ein viel zu totalitär gedachtes philosophisches Konstrukt, das viel zu oft als Ausrede dafür verwendet wird, dass man nichts unternimmt: »Meine Aufgabe ist es, Kritiker zu sein. Deswegen trenne ich auch kein Glas und schütte meine Chemikalien in die Toilette.«

Schorsch Kamerun: Nein, das würde ich nicht so deuten. Dem Adorno-Satz gelingt es, ein Bewusstsein über etwas zu schaffen. Er ist eine Erkenntnis, eine Beschreibung des Vorgangs, wie der Kapitalismus arbeitet. Wenn man auch in einer überkomplexen Welt lebt.

Ted Gaier: Aber der Satz ist so absolut, dass er die Komplexität der Welt ja eben gerade nicht erfasst.

Schorsch Kamerun: Du kannst dich auf den Kopf stellen, um Dinge zu verändern. Trotzdem hat dieser Kapitalismus die Möglichkeit, auch daraus wieder irgendwas zu machen, das ihm nützt. Das muss aber ja nicht heißen, dass man aufhört, etwas gegen ihn zu tun. Das sagt ja keiner.

Ted Gaier: Es ist ja die Frage, wer sich diesen Satz heraussucht. Er ist wie eine Entschuldigung, und auch eine Vereinfachung der Sache. Ich glaube, es wird so nicht funktionieren, dass man mit einem Satz eine komplexe Wahrheit erfasst, die allgemeingültig ist. Das ist halt ein Schmarren.