nd-aktuell.de / 28.09.2013 / Politik / Seite 29

Ein Dorf, dem Schach gewidmet

Eine Kölner Künstlerin betreut ein einmaliges Projekt in der Dominikanischen Republik

Tausende Urlauber fliegen in die Dominikanische Republik um zu baden und sich zu erholen. Für viele würde sich wohl auch ein Abstecher in den Norden der Insel lohnen: Zwischen Bergen und Wäldern versteckt liegt eine 1000-Seelen-Gemeinde, die von der in Köln lebenden Künstlerin Eneida Pérez de Lücke (49) in ein Schachdorf verwandelt wird. Ein weltweit einmaliges Projekt, das die 49-jährige, die in Santo Domingo geboren und aufgewachsen ist, La Torre nennt, zu deutsch: »Der Turm«.

nd: Wie sieht es denn in einem Schachdorf wie La Torre aus?
Pérez de Lücke: Der ganze Ort wird peu à peu zur Schachbühne. Auf dem zentralen Platz bilden Bodenplatten ein Spielfeld. Dort spielen Mädchen und Jungen, die sich fantasievoll kostümieren, Partien im Großmaßstab. Vor den Häusern stehen Holzfiguren in Gestalt von Pferden, Läufern oder Bauern - geschaffen von Kindern und Erwachsenen gemeinsam. In der Gegend gibt es weder Bibliothek noch Kino, geschweige denn ein Theater, und so bietet Schach die einzige Möglichkeit, Kultur zu begegnen und selber kulturell aktiv zu werden.

Offenbar kann Schach mehr sein als Figuren herumschieben ...
Selbstverständlich! Schach ist Kulturarbeit mit einfachen Mitteln. und eröffnet den Zugang zur Bildung: In La Torre gibt es ein Haus namens »Casa de Ajedrez«, wo Kinder die Regeln lernen und auch zu kreativer Arbeit ermuntert und angeleitet werden - unter dem Leitmotiv des Schach.

Sollten die Kids nicht statt Schach lieber für gute Zeugnisse pauken? Allein Bildung bietet doch die Chance auf sozialen Aufstieg!
Das Schachhaus steht dem doch nicht entgegen. Kinder, die früh Schach erlernen, haben es viel leichter in der Schule.

Trotzdem: Armut ist ein Grundproblem in der Dominikanischen Republik. Haben die Leute da nicht andere Dinge auf dem Zettel als ein Schachdorf?
Eine berechtigte Frage. Aber das Projekt wird mit Sicherheit viele Besucher anziehen und Geld nach La Torre bringen. Erste Erfolge stellen sich schon ein: Touristen, die das Bergland um La Torre erkunden, kaufen gerne auch Souvenirs mit Schachmotiven aus der Produktion eines begabten Kunsthandwerkers. Äußerst beliebt sind inzwischen auch schon die Schachbiskuits aus einer Bäckerei in La Torre.

Sie widerlegen in La Torre das übliche Klischee von den lebensfrohen Menschen in der Karibik, die mit dem oft zähen Schach wenig anfangen können!
Claro, wer hätte gedacht, dass Schach so gut passt! Tatsächlich aber ist der Denksport in der Dominikanischen Republik hoch angesehen - auf Augenhöhe mit Baseball, dem unangefochtenen Lieblingssport.

Auch Sie sind, neben Ihren künstlerischen Aktivitäten, eine ausgewiesene Schach-Expertin, haben mehrfach die Meisterschaft der Dominikanischen Republik gewonnen. Lässt Ihnen das Projekt La Torre überhaupt noch Zeit für Schach?
Leider sehr wenig. Immerhin werde ich aber mein Heimatland bei der Schacholympiade 2014 im norwegischen Tromsø vertreten.

Fragen: René Gralla