Was ging vor in Nachbars Garten?

Spannende Zeugen im NSU-Prozess

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Beim 40. Verhandlungstag im NSU-Prozess ging es am Montag um die spannende Frage: War die angeklagte Beate Zschäpe im April 2006 in Dortmund unterwegs? Eine wie aus dem Nichts aufgetauchte Zeugin will sie gesehen haben. In jenem Monat wurde dort der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik umgebracht.

Veronika von A. war für 9.30 Uhr vor den Münchner Strafsenat geladen worden. Die 63-jährige freie Journalistin behauptet, in der ersten Aprilwoche 2006 mehrere Personen auf einem Nachbargrundstück beobachtet zu haben. Nachdem der Nationalsozialistische Untergrund» (NSU) im November 2011 aufgeflogen war, habe sie auch deren Namen erfahren: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Auf Fotos habe sie die wiedererkannt.

Die Aussage könnte brisant werden, denn am 4. April 2006 hat man in Dortmund den Kioskbesitzer Mehmet Kubasik mit zwei Kopfschüssen getötet. Tatwaffe war eine Ceska 83. Zu diesen Indizien, die die Täterschaft der drei Neonazis vermuten lassen, käme nun eine wichtige Aussage hinzu. Die beiden Männer sind tot, angeblich verübten sie Selbstmord, Beate Zschäpe aber ist als Mittäterin bei allen zehn Morden der rechtsextremistischen Terrorgruppierung NSU angeklagt.

Doch gestern stockte der Prozess zunächst mal wieder. Grund: Am Morgen waren den Prozessbeteiligten neue Akten übergeben worden. Die knapp 200 Seiten vom Bundeskriminalamt (BKA) beleuchten die Aussage der Zeugin. Olaf Klemke, einer der Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben, beantragte Lesezeit. Zschäpes Rechtsbeistand Wolfgang Heer monierte Fotos in den Akten. Sein Protest bezog sich vor allem auf das Blatt 6657. Es zeigt die frühere Nachbarin der Zeugin Desiree D. - leider nur verschwommen.

Hinter Heers Protest steht die Frage: Hat Frau von A. diese Frau womöglich mit der Zschäpe verwechselt? Möglich. Auch die Vernehmung des Ehemannes der Zeugin lässt die Idee aufkommen. Der pensionierte Historiker bestätigt zwar, dass seine Frau im November 2011 von ihrem Verdacht gesprochen hat, er selbst kann sich an das in Frage stehende Geschehen auf dem Nachbargrundstück nicht erinnern. Das BKA vernahm die Nachbarn, ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Zwei Stunden nach dem Ladungstermin konnte die Zeugin gestern dann berichten. Sie sprach ruhig, wählte die Worte, formulierte fast druckreif, ließ sich nicht von geschickten Fragen beirren, berichtete detailsicher, was sie aus dem Dachfenster beobachtete. Von Grabungen und einer Folie war die Rede. Sie erwähnte einen «Skinhead», der den Dreien «wie ein kleiner Feldherr» sein Grundstück gezeigt habe. Sie habe geglaubt, das seien neue Nachbarn, sie habe sogar Blickkontakt mit Zschäpe gehabt. Dann sei die Gruppe «in militärischer Ordnung» im Haus verschwunden.

Und dann redete Frau von A. über Wohnmobile. Am 31. März 2006 habe sie eine Lieferung erwartet, doch ein solcher Camper stand vor der Einfahrt. Sie habe daher einen Zettel angebracht, mit der Bitte, an einer anderen Stelle zu parken.

Schon in den Monaten zuvor seien ihr Wohnmobile aufgefallen. Die Zeugin glaubt, dass auf dem Nummernschild die Buchstaben C und A sowie ein Z zu lesen waren. C wie Chemnitz? Z für Zwickau? In beiden Orten haben Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt jahrelang unbehelligt gelebt. A deutet auf Augsburg hin. Zu Kameradschaften in Nordbayern gab es gute Kontakte. Die beiden Männer waren oft in Wohnmobilen unterwegs, wenn sie Überfälle begingen oder mordeten.

Spannend kann auch die Verhandlung am heutigen Dienstag werden. Geladen ist der ehemalige Verfassungsschutzagent Andreas Temme. Er führte V-Leute unter anderem aus dem Bereich Rechtsextremismus, doch er war auch ganz privat als «wildman70» unterwegs. Am 6. April 2006 auch in einem Kasseler Intenetcafé, als der 21-jährige Besitzer Halit Yozgat hingerichtet wurde.

«Halit Yozgat wurde ziemlich genau um 17:01:25 erschossen. Zu dieser Zeit saß T. an PC Nr. 2 und surfte im Internet», heißt es in einem Polizeibericht. Während ein Telefonierer in der Kabine immerhin einen Knall gehört hat, der wie das Platzen eines Luftballons klang, hörte der Verfassungsschützer, selbst Sportschütze, nichts. Er sagt, er habe das Café vor dem Mord verlassen. Doch zwischen seinem Abmelden am Computer und dem von der Polizei ermittelten Mordzeitpunkt liegen nur Sekunden. Warum er sich, auch als die Polizei dringend nach Zeugen der Bluttat suchte, nicht gemeldet hat, lässt er bislang offen.

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