Geheimnisvolle Parallelwelten

Im Kino arsenal: Retrospektive Jaques Rivette

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie französisch das doch klingt: Eine junge Frau bekommt von ihrem Liebhaber einen Pelzmantel geschenkt. Damit das kostbare Kleidungsstück ihrem Ehemann die Liaison nicht verrät, ersinnt die Frau eine List. Doch die geht nach hinten los. Am Schluss ist die Betrügerin die Betrogene, doch »Le coup du berger«, der 28-minütige Schwarz-Weiß-Kurzfilm des jungen Regisseurs Jacques Rivette sollte 1956 sollte eine neue filmische Ära einläuten: die Nouvelle Vague.

Jene legendäre Bewegung um die ehemaligen Filmkritiker François Truffaut, Claude Chabrol, Jean-Luc Godard, Eric Rohmer und eben Rivette eiferte ihren filmischen Idolen Hitchcock, Hawks und Renoir nach und mischte das in ihren Augen behäbige französische Kino auf. Die jungen Wilden arbeiteten anfangs sehr eng zusammen, wovon Cameo-Auftritte von Truffaut, Godard und Chabrol in Rivettes Erstling zeugen, der in Chabrols Wohnung gedreht wurde.

Rivette (Jahrgang 1928), dem das Kino Arsenal nun eine komplette Retrospektive widmet, ist mit Godard der letzte Lebende der »Fünferbande« und ihr vielleicht radikalster Künstler. Seine Filme dauern im Schnitt drei Stunden - den Rekord hält der Marathon-Film »Out 1, Noli mi tangere« (1971) mit fast 13 Stunden - und zwar nicht zuletzt, weil sie sich den Prinzipien des Improvisierens und Ausprobierens eines anderen Mediums, des Theaters, verschreiben.

Auch in Rivettes erstem Langfilm »Paris gehört uns« (1961), an dem er aus Geldmangel etliche Jahre laborierte und der, ganz im Sinne der Nouvelle Vague, viel auf der Straße spielt, geht es vordergründig um Theaterproben. Eine junge Studentin aus der Provinz wird in künstlerische Pariser Kreise eingeführt und gerät in ein Netz aus Schuldgefühlen, Befindlichkeiten, Liebesintrigen und einem realen oder imaginierten faschistischen Komplott.

Bereits hier inszeniert Rivette geheimnisvolle Parallelwelten, die später auch zum narrativen Konstrukt weiterer seiner Filme werden sollen. Heute mag der verschwörungstheoretische Duktus seines Erstlings nicht immer überzeugen, dennoch muss man das Werk vor dem Hintergrund der Franco-Diktatur im benachbarten Spanien betrachten.

Später sollte sich Rivette auch sehr von seinen Aktricen inspirieren lassen: Bulle Ogier, Sandrine Bonnaire oder Emmanuelle Béart. Letztere ist in dem Vierstünder »Die schöne Querulantin« (1991) an der Seite Michel Piccolis meist nackt zu sehen und hinterfragt als Modell eines Malers künstlerische Machtverhältnisse. In »Die Geschichte von Marie und Julien« (2003) wiederum, der als Film Noir beginnt, lässt sie das Werk als mysteriöse Geliebte eines Uhrmachers (Jerzy Radziwilowicz) schließlich in eine Geisterstory abdriften.

Auch die sehr gelungene Beziehungskomödie »Va savoir« (2001) spielt im Theatermilieu, ist nach Angaben Rivettes aber wie eine Mozart-Oper aufgebaut. Eifersüchtige Ex-Partner, eine abenteuerliche Flucht über ein Dach, ein gestohlener Verlobungsring, ein verschollenes Manuskript und ein Männer-Duell, das mit Wodka ausgetragen wird, machen diesen Film zu einem großen Vergnügen.

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