nd-aktuell.de / 05.10.2013 / Politik / Seite 2

Alfano will mehr Frontex

Italiens Innenminister fordert eine bessere Ausstattung der Grenzüberwachungsorganisation

Wolf H. Wagner, Florenz
Bisher wurden die Leichen von 111 Flüchtlingen auf Lampedusa an Land gebracht. Es wird jedoch damit gerechnet, dass die Zahl der Toten auf mehr als 300 steigen könnte. 155 Flüchtlinge konnten aus dem ausgebrannten und gesunkenen Schiff gerettet werden. Lampedusa steht unter Schock, doch die Angelegenheit hat längst europäische Dimensionen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Anlandung afrikanischer Flüchtlinge auf Lampedusa oder an den anderen Küsten Süditaliens politische Auseinandersetzungen im Belpaese auslösen.

Doch in der ohnehin angespannten Lage, in der sich das politische Rom derzeit befindet, wiegen die Streitigkeiten besonders schwer. Italiens Ministerin für Integration, die aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Cecile Kyenge, ist seit ihrem Amtsantritt rassistischen Angriffen vor allem der rechten Lega Nord ausgesetzt. Und auch im Falle des jetzigen Unglücks eines Bootes mit insgesamt 500 Passagieren vor Lampedusa war es wiederum der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Gianluca Pini, der sowohl Kyenge als auch die Parlamentspräsidentin und frühere Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats, Laura Boldrini, angriff: »Das Gutmensch-Gedusel von Kyenge und Boldrini lockt nur noch mehr Afrikaner an, nach Sizilien zu kommen. Beide sollten dringend zurücktreten, um nicht noch mehr Schaden anzustiften.« Zynisch ergänzt Pini, der jetzige Vorfall vor Lampedusa habe nichts mit dem Bossi-Fini-Gesetz zu tun, denn das gelte nur für das italienische Festland. Und die Bootsflüchtlinge seien schließlich auf dem Meer ums Leben gekommen. Das 2002 von Lega-Chef Umberto Bossi und dem damaligen Führer der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, initiierte und bis heute gültige Asylgesetz sieht eine erleichterte Abschiebemöglichkeit von Migranten vor.

Vor der Presse reagierte Kyenge mit Abscheu auf die Angriffe seitens der Lega: »Die Aussagen Pinis zeugen nicht nur von schlechtem Geschmack, sondern sind ein beleidigender Angriff und eine Verhöhnung der Opfer.« Im Übrigen existiere das Problem der Migration von den Küsten Nordafrikas nach Süditalien bereits seit mehr als zehn Jahren, sie selbst sei jedoch erst fünf Monate im Amt und bemühe sich dort um Lösungen für die Menschen. Als Reaktion auf die Angriffe gegen beide Frauen sprach das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte Kyenge und Boldrini höchste Anerkennung aus.

Innenminister Angelino Alfano, der nach Bekanntwerden der Katastrophe sofort nach Lampedusa reiste, wies jede Diskussion um das Bossi-Fini-Gesetz zurück. Italien verhalte sich getreu der europäischen Abkommen von Schengen und Dublin, erklärte Alfano und forderte, die EU müsse effizientere Maßnahmen ergreifen, um ihre Außengrenzen zu schützen. »Es geht nicht um die Überwachung der Grenze Nordafrika-Italien, sondern um die Grenze Afrika-Europa«, so Alfano noch in der Nacht zum Freitag vor Journalisten.

Der italienische Innenminister forderte von der Gemeinschaft, Frontex-Einheiten bereitzustellen. Man brauche mehr Schiffe, Flugzeuge und Personal, um die Außengrenzen zu sichern, so dass keine Flüchtlingsboote in Europa ankommen können. Dies sei seiner Auffassung nach der einzig richtige Weg, wolle man solche Katastrophen wie jetzt vor Lampedusa vermeiden. Mit diesem Anliegen werde er auch in der kommenden Woche bei der EU-Innenministerkonferenz vorstellig werden, so Alfano.

Guglielmo Epifani, Chef der Demokratischen Partei (PD), forderte, wie auch zuvor bereits die Bürgermeisterin von Lampedusa, Guisi Nicolini, die sofortige Abschaffung des Bossi-Fini-Gesetzes. »Dieses Gesetz ist nur ein Produkt der Angst«, so Epifani.

Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty international forderten größere Anstrengungen der italienischen und europäischen Behörden. Statt zu überlegen, wie man die Grenzen noch dichter abschotten kann, sollten die Bemühungen verstärkt werden, die Tausenden Menschen zu schützen und zu retten, die die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen, um bessere Lebensbedingungen für sich und ihre Kinder zu finden, forderte Jezerca Tigani, Vizedirektorin des Europa-Asien-Programms von ai.

Während die Politiker noch über mögliche Grenzlösungen streiten, suchen die Helfer vor Ort weiter unermüdlich nach den Opfern der Katastrophe. Verschlechterte Wetterbedingungen erschweren die Arbeiten, Tauchgänge mussten abgesagt werden.

Nach wie vor ist das ganze Ausmaß der Tragödie nicht klar: Bisher wurden 111 Leichen an Land gebracht, die Zahl wurde am Freitag von zunächst 133 nach unten korrigiert. Doch es wird damit gerechnet, dass die Anzahl der Toten auf mehr als 300 steigen könnte, denn die Hoffnung auf weitere Überlebende geht gegen Null und nur 155 Schiffbrüchige konnten bisher gerettet werden.