Auf dem Weg zum Buckelapotheker

Einst war Jenapharm ein Unternehmen von Weltrang - jetzt wird es scheibchenweise zerschlagen

  • Doris Weilandt, Jena
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Jenapharm GmbH ist nach wie vor Marktführer in Sachen Frauengesundheit. Doch hinter der Fassade der thüringischen Firma verbirgt sich schon lange kein innovatives Unternehmen mehr.

Dualität der Ereignisse: Während der Bayer-Konzern gerade sein 150-jähriges Firmenjubiläum feiert, werden bei der Tochter Jenapharm weiter Stellen abgebaut. Am Stammsitz in Jena sind von ehemals 1800 Mitarbeitern derzeit nicht einmal mehr 200 übrig, die vor allem im Verkauf beschäftigt sind. Noch vor Jahresende soll die eigene Gebäudeverwaltung, die die Vermietung des zu groß gewordenen Firmenkomplexes managt, ausgegliedert werden.

Das Pharmaunternehmen aus Jena, das einst den gesamten Ostblock mit Antibabypillen versorgte, wird seit der Wende scheibchenweise zerschlagen. Dabei begann es 1990 unter der viel gescholtenen Treuhand ganz hoffnungsvoll. Die hatte den Zuschlag für die Übernahme nicht der Schering AG erteilt, die ihren Mitkonkurrenten gleich auf Zwergengröße schrumpfen wollte, sondern dem Stuttgarter Pharma-Großhändler GEHE AG. Der neue Besitzer hielt seine Zusagen ein. In Jena blieb nicht nur die Hälfte der Beschäftigten - der gesamte Betrieb mit den technischen Anlagen und Gebäuden wurden saniert. Unter Leitung der Forschungs- und Entwicklungsabteilung konnte eine Wirkstoffanlage zur Synthese von Steroidhormonen für 30 Millionen DM errichtet werden. Weltweit gab es nur wenige Arzneimittelhersteller, die dazu in der Lage waren. Diese Produktionseinheit garantierte die Unabhängigkeit von Zulieferern. Wirtschaftlich bedeutete das einen großen Gewinn. Sie produzierte 20 verschiedene Hormonwirkstufen, die das Kerngeschäft von Jenapharm auch langfristig sichern sollten.

Nach dieser Aufbauphase ging es in den 1990er Jahren zunächst steil bergauf. Durch mehrjährigen Forschungsvorlauf kam die Wunschkindpille Valette auf den Markt, die innerhalb weniger Monate zum umsatzstärksten Verhütungspräparat in Deutschland gerierte. Die Firma expandierte. Weil sich in Jena kein geeigneter Bauplatz fand, errichtete der Gesellschafter in Weimar eine Produktionsstätte für feste Arzneiformen als Betriebsteil von Jenapharm. Doch der Höhenflug hielt nicht lange an. Als sich die Geschäftspolitik von GEHE änderte, kam beim Verkauf der Jenapharm 1996 doch die Schering AG zum Zuge. Neben Produkten zur Frauengesundheit schrieben die Jenaer zu diesem Zeitpunkt vor allem mit geriatrischen Produkten, Therapeutika und Generika schwarze Zahlen. Doch nun wurden die einzelnen Bereiche in den Schering-Konzern eingegliedert. Schmerzlich war das Abtrennen des Weimarer Arzneimittelwerkes, noch schmerzlicher die Verlagerung der Forschungs- und Entwicklungsabteilung in die Zentrale nach Berlin. Auch das teure neue Wirkstofftechnikum fiel einer immer währenden Umstrukturierung zur Kostenminimierung zum Opfer. Damit aber hatte das Unternehmen sein Herzstück verloren.

Als 2006 das Zukunftsprojekt EUBOS (European Off Patent Strategy) ins Leben gerufen wurde, mit dem Jenapharm zum unabhängigen Komplettanbieter in Sachen Frauengesundheit werden sollte, keimte wieder Hoffnung. Das Strategiepapier war kaum ausformuliert, als die Schering AG selbst wegen einer feindlichen Übernahme durch die Firma Merck schwer ins Trudeln kam. Der dann auftauchende »weiße Ritter«, die Bayer AG, erwies sich schließlich als nimmer sattes Raubtier, das sich den Großkonzern nach und nach einverleibte, bis er aufhörte zu existieren.

Nun ist das Jenaer Pharmaunternehmen an der Reihe. Es steht zwar wirtschaftlich immer noch gut da, lebt aber schon seit Jahren von der Substanz, weil es keine Neuentwicklungen mehr gibt.

Für Bayer-Kenner wie Philipp Mimkes vom Vorstand der »Coordination gegen BAYER-Gefahren« ist das, was mit Jenapharm geschieht, nicht verwunderlich: »Schering ist in den letzten Jahren das Gleiche widerfahren, selbst ein Pharmariese kann also von der Bildfläche verschwinden. Der neue Bayer-Chef Marijn Dekkers hat verfügt, das Pharmageschäft auf den Markennamen ›Bayer‹ zu konzentrieren - da gibt es dann keinen Artenschutz für Jenapharm. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Beschäftigten.« Von einer Pharmaweltfirma zum Buckelapotheker - traurige Aussichten für das vielfach ausgezeichnete Unternehmen, das 1950 in Jena gegründet wurde.

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