nd-aktuell.de / 17.10.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Gesprächskreis lieber online

Bundesarbeitsgemeinschaft debattiert Professionalisierung der Selbsthilfe

Ulrike Henning
Neue Wege der Patientenorganisierung standen im Mittelpunkt des Jahreskongresses der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe am Dienstag in Berlin. Besonders das Internet verändert deren Arbeit.

Vom Aufmerksamkeitsdefizit bis zur Sklerodermie reichen die Themen der 120 Mitgliedsverbände, die sich seit über 40 Jahren in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe zusammengeschlossen haben. Die Organisation vertritt über eine Million körperlich, geistig, psychisch behinderte und chronisch kranke Menschen sowie deren Angehörige.

Jährlich 3000 Anfragen bekommt etwa die Geschäftsstelle der »Deutschen Morbus Crohn Colitis ulcerosa Vereinigung« - zur Hälfte von Betroffenen, zur Hälfte von deren Angehörigen oder Freunden. Die meisten Fragen zu den entzündlichen Darmleiden betreffen medizinische Themen, außerdem werden Ärzte gesucht oder sozialrechtliche Probleme sollen gelöst werden. Extra für den letzten Bereich hat die Vereinigung einen Arbeitskreis Sozialrecht gegründet, der in Rentenfragen berät oder bei der Beantragung eines Schwerbehinderten-Ausweises. Darüber hinaus stehen für Menschen mit diesen Krankheiten bundesweit 240 Selbsthilfegruppen offen. Dietmar Lünnen vom ehrenamtlichen Vorstand der Vereinigung berichtet aber auch, dass nur noch 20 Prozent der Mitglieder den direkten Kontakt zur Selbsthilfe wollen, die anderen suchen eher Dienstleistungen als Gespräche untereinander. Auf einen derartigen Wandel, auch hin zur Nutzung moderner Medien und des Internets, müssten sich viele Teile der Selbsthilfe erst einstellen.

Peter Hippe von der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew ist deshalb besonders stolz auf den Internetauftritt, der von den eigenen Mitgliedern erstellt wurde. Einheitlich präsentieren sich dort fast alle der 14 Landesverbände, das Forum wird intensiv zur Diskussion von Aspekten der chronisch entzündlichen, rheumatischen Krankheit genutzt.

Dabei will keine der vielen Mitgliedsorganisationen die Medizin ersetzen, auch wenn sie jeweils Fragen zur Behandlung beantworten und aus der Sicht von ebenfalls Betroffenen beraten.

Diese Kompetenz als Patienten bringen die Selbsthilfe-Vertreter inzwischen auch in den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein, in dem Vertreter des Gesundheitswesens darüber entscheiden, wofür die gesetzlichen Kassen letztendlich zahlen. Im G-BA haben die Patientenvertreter allerdings nur ein Beratungs- und kein Stimmrecht. Schwierig erscheint, die wenigen Plätze dort gerecht auf die vielfältige Selbsthilfe-Bewegung zu verteilen. In der Berliner Diskussion wurde dann auch der Widerspruch zwischen der einerseits nötigen Professionalisierung und dem persönlichen Betroffenen- und damit Kranksein thematisiert. Eine Organisation wie der ADAC zu werden, ein eher dienstleistendes Unternehmen, können sich viele nicht oder noch nicht vorstellen.

Zur Bundestagswahl forderte die BAG Selbsthilfe, ihre Mitwirkung etwa bei der Mitarbeit im G-BA auszuweiten, aber nicht nur dort, sondern zum Beispiel auch bei Versorgungsverträgen, die Krankenkassen mit Ärzten und Kliniken abschließen. Zur Unterstützung der Professionalisierung ihrer Arbeit sollte auch die staatliche Förderung der Organisationen verbessert werden, da bis heute der große Teil der Aktivitäten ehrenamtlich geleistet wird.