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Kleine Laster, große Rollen

Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve über Literatur, schlechte Angewohnheiten und Tagebücher

  • Lesedauer: 4 Min.
»Sie ist so schön, dass ein Film, indem sie spielt, auch ohne Geschichte auskommt«, sagte Regisseur François Truffaut einmal über sie: Catherine Deneuve. Nach ihrem Ebenbild wurde einst eine Büste der französischen Nationalfigur Marianne geschaffen. Am 22. Oktober wird die gebürtige Pariserin 70 Jahre alt. Mit der Grand Dame des französischen Kinos sprach Marc Hairapetian.

Madame Deneuve, in Ihrem neusten Film »Elle s’en va«, den Sie bei der Berlinale präsentierten, spielen Sie die ehemalige Miss Bretagne 1969 und jetzige Restaurantbesitzerin Betty, die ihrem Alltagstrott entfliehen will. Was hat Sie an dieser Silver-Age-Komödie gereizt?
Mich hat vor allem die Zusammenarbeit mit Regisseurin Emmanuelle Bercot, die auch das Drehbuch geschrieben hat, interessiert. Sie ist ebenfalls Schauspielerin und versteht, wie »wir« ticken. In langen Gesprächen hat sie mich überzeugt, den Part der Betty, die denkt, ihre besten Tage, liegen bereits hinter ihr, anzunehmen. Als sie nach dem Zigarettenholen ihren Enkel, den sie lange nicht gesehen hat, mit dem Auto abholen will, gerät sie in allerhand Abenteuer, verbringt sogar eine Nacht mit einem jüngeren Mann. Sie realisiert, dass noch einiges vor ihr liegt. Das hat mir gefallen.

Rauchen Sie privat eigentlich auch so viel wie im Film?
Ja, ich gebe es zu, es ist mein schlimmstes Laster – und nicht »Die Jagd auf Männer« wie der gleichnamige Film von Edouard Molinaro lautet, in dem ich mit meiner leider jung verstorbenen Schwester Françoise Dorléac zusammenspielte. Rauchen die Frauen in Deutschland nicht mehr so viel?
Zumindest weniger in Restaurants oder Clubs, weil es dort mittlerweile ein Rauchverbot gibt.
Sie sollen sich einfach darüber hinwegsetzen! Man wird sie doch nicht gleich einsperren. Kleine Laster machen einen Menschen erst interessant.

Die Rolle der Betty hat Ihnen Emmanuelle Bercot auf den Leib geschrieben. Ist ihnen das am liebsten oder eifern sie filmisch lieber Literaturfiguren nach?
Es kommt immer aufs Drehbuch an, doch was gibt es Schöneres, als eine lieb gewonnene Romanfigur selbst auf der Leinwand zu verkörpern? Das ist ein Privileg. Und selbst eine meiner bis heute bekanntesten Rollen – die sadomasochistische Edelprostituierte Séverine Sérizy in »Belle de jour – Schöne des Tages« – war eine Romanfigur. Viele dachten, Luis Buñuel hätte sie extra für mich geschrieben. Dabei war sie dem gleichnamigen Buch von Joseph Kessel aus dem Jahr 1928 entlehnt.

Was lesen Sie selbst gerne?
Vielleicht glauben Sie es mir nicht, aber ich liebe Science-fiction-Romane von Isaac Asimov, Ray Bradbury, Brian W. Aldiss oder Arthur C. Clarke. Für Verfilmungen ihrer Geschichten hat mich leider nie ein Regisseur angefragt. Ich hätte auch gerne mit Stanley Kubrick gearbeitet, dessen Filme »2001: Odyssee im Weltraum« und »Uhrwerk Orange« ich liebe. Ich mag auch Comics wie »Tim und Struppi«. Oder die vom Pärchen »Valerian und Véronique«, das durch die Zeiten reist. Da sind Sie erstaunt, was!?

Wie sieht es denn mit französischen Literaturklassikern aus, zum Beispiel mit Molière?
Der ist sehr gut, aber manchmal ein bisschen schematisch wie bei »Der eingebildete Kranke«. Mir sind deutschsprachige Klassiker lieber, natürlich Goethe und Schiller. Und ich liebe Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Die haben die Psychologie von uns Frauen gut verstanden. Für die damalige Zeit war es sehr erotisch, was sie schrieben – und vor allem stilistisch superb.

2006 ist auch in Deutschland Ihr Filmtagebuch »In meinem Schatten« über die Dreharbeiten zu »Dancer in the Dark« und »Indochine« erschienen. Schreiben Sie nur Filmtagebücher oder führen Sie auch ein privates Tagebuch?
Seit meiner Kindheit halte ich meine Gedanken und Gefühle fest. Ich kann die handbeschriebenen Bände nicht mehr zählen. Natürlich mache ich es nicht, um mir literarische Meriten zu erwerben. Vieles möchte ich auch nicht an die Öffentlichkeit geben. Doch bei Filmtagebüchern denke ich, ist es an sich kein Problem. An Klatsch und Tratsch war mir nicht gelegen, sondern eher an einer Auseinandersetzung mit dem Medium Film, die Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Lars von Trier und Régis Wargnier sowie historischen Zusammenhängen. Durch die Dreharbeiten bei »Indochine« habe ich eine Menge gelernt über diesen Krieg von 1946 bis 1954, und der »Gegner« von einst ist mir ans Herz gewachsen: Ich habe großen Respekt, ja sogar Bewunderung für das heroische Volk der Vietnamesen, die ihre Unabhängigkeit erringen konnten. Das dunkle Kapitel des Kolonialzeitalters ist längst beendet, doch man darf es nicht vergessen. Ich finde es auch gut, dass in Frankreich und Deutschland ein neuer Film über diese Epoche gezeigt wird, der Zweiteiler »Saigon – Der Sommer, die Liebe, der Krieg«. Meine persönlichen politischen Empfindungen wollte ich auch in dem Filmtagebuch festhalten.

Können Sie sich vorstellen, selbst einen Roman zu schreiben?
Vorstellen kann ich mir vieles, doch ich glaube, dazu fehlen mir Talent und Ausdauer. Wir Schauspieler leben doch von den Geschichten der anderen, die wir für die Leinwand beleben sollen.
In der Öffentlichkeit existiert das Bild der schönen, aber unnahbaren Diva.
Manchmal muss man sich einen Schutzpanzer anlegen, doch wenn mich jemand charmant und kompetent befragt, antworte ich gerne. Kommunikation ist doch etwas sehr Wertvolles – wir lernen auch vom Gegenüber. Gute Fragen können einen inspirieren. Im Elfenbeinturm wurde noch keine gute Schauspielerin geboren.

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