nd-aktuell.de / 22.10.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Massentourismus und Tankerunglücke im Eis

Inuit-Fischer fürchten deutliche Einschränkungen ihrer Lebensgrundlagen durch weitere wirtschaftliche Erschließung der Arktis

Andreas Knudsen, Kopenhagen
Die Baffin-Bay zwischen Grönland und Kanada bedeutet für viele Fischer vom Stamm der Inuit ihre Existenzgrundlage. Nun fordern sie deren Schutz durch die Politik.

Im Sommer durchfuhr erstmals ein kommerzielles Frachtschiff die Nordwestpassage nördlich von Kanada. Jährlich laufen mehrere Dutzend Kreuzfahrtschiffe Grönland an - jedes mit bis zu 2000 Passagieren an Bord. Eine Ölplattform kann bis zu 100 000 Barrel Öl am Tag produzieren, die im schlimmsten Unglücksfall ins Meer strömen.

Die Arktis wird wirtschaftlich immer interessanter; Klimawandel und schmelzendes Eis machen sie zudem leichter erschließbar. Reedereien der großen Schifffahrtsnationen suchen nach billigeren Wegen, Touristen wollen unberührtes Land sehen und Ölfirmen erkunden mit seismischen Methoden das Potenzial von Öl und Gas, um anschließend weitere Probebohrungen vornehmen zu können. Gemeinsam ist diesen drei Aktivitäten, dass sie störend in die traditionelle Lebensweise der Urbevölkerung eingreifen und im schlimmsten Fall Schäden anrichten können, deren Auswirkungen nicht abschätzbar sind. Zudem sind die vorhandenen Rettungsmittel und Möglichkeiten zur Bekämpfung einer Ölkatastrophe äußerst begrenzt. Unberechenbare Wetterverhältnisse, die harte See, lange Entfernungen, Treibeis und die Polarnacht setzen allen Maßnahmen, die überhaupt ergriffen werden können, Grenzen.

Über diese Entwicklung berieten kürzlich Vertreter inuitischer Fischer aus Grönland und Kanada. Sie finden es besorgniserregend, dass die Politiker an den Ufern der zwischen beiden Staaten liegenden Baffin-Bucht die Entwicklung vorantreiben wollen, ohne die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Die Fischer leiteten ihre Forderungen über die transarktische Inuitorganisation ICC an die Politiker weiter.

Für den nördlichsten Teil Kanadas und Grönlands fordern sie die Festlegung und Markierung von Gebieten zu Lande und insbesondere im Meer, die nach ihrer Ansicht absolut notwendig sind für die Aufrechterhaltung ihrer Lebensbedingungen. In den genannten Gebieten sollen Kreuzfahrtschiffe und Ölplattformen verboten und der Schiffsverkehr begrenzt werden. Darüber hinaus fordern die Fischer die Einstellung der seismischen Versuche im Meer, deren Druckwellen Fische, Wale und Robben stören und verscheuchen.

Für den Fall von Unglücken bei Bohrarbeiten oder Schiffspassagen verlangen sie über die Aufräummaßnahmen hinaus wirtschaftliche Unterstützung vom ersten bis zum letzten Tag. Erinnert werden muss an das Tankerunglück der Exxon Valdez 1989 in Alaska, bei dem etwa 40 000 Tonnen Öl in das Meer liefen. Experten schätzten vor einigen Jahren, dass höchstens zehn Prozent des Öls beseitigt werden konnten, obwohl Dutzende Schiffe und bis zu 11 000 Helfer im Einsatz waren. So viele Schiffe stehen in Grönland nicht einmal zur Verfügung und im ganzen Land leben nur 55 000 Menschen.

Interessant ist, dass die grönländischen Fischer ihre Sorgen auch direkt an die Autonomieregierung in der Hauptstadt Nuuk hätten weitergeben können. Stattdessen wählten sie aber den Umweg über den ICC. Dies spricht für eine Vertrauenskrise der Inuit in die erst seit März 2013 amtierende Regierung, die, ebenso wie die Selbstverwaltungsregierung im kanadischen Nunavut, die Rohstoffausbeutung als bestes Mittel wirtschaftlicher Selbstständigkeit sieht.

Der ICC als ständiges Mitglied des zwischenstaatlichen Arktischen Rates kann seinen Einfluss dagegen unabhängig von Regierungen nutzen, um Umweltschutzbestimmungen für die fragile arktische Natur und die Einführung eines strikten Polarcodes für Schiffe zu fordern.