nd-aktuell.de / 23.10.2013 / Kultur

»Ich sehe zwischen Bloggern und Journalisten keine große Differenz«

Karsten Wenzlaff über deutsche Bloggerprobleme und unfreie Journalisten

Politische Blogs können Meinungsmacher, Gegenöffentlichkeit oder sogar eine neue Art von Journalismus sein. In Deutschland haben Blogs noch nicht die gleiche Stellung wie in den USA. Dafür kämpfen sie, nicht erst seit dem Start der deutschen »Huffington« Post, mit Finazierungsproblemen. Für das »nd« sprach Vera Macht mit dem social media Berater Karsten Wenzlaff über politisches Bloggen und Bloggerprobleme.

Nd: Wie schätzen Sie die Blogger-Landschaft in Deutschland ein? Was ist das Spezifische an deutschen Bloggern?
Wenzlaff: Wenn man die USA mit Deutschland vergleicht, dann ist die Bloggerszene in den USA wesentlich stärker und sehr polarisierend, sowohl von links als auch von rechts. In Deutschland ist das noch nicht so. Aber es gibt eine sehr rege Politik-Blogger-Szene im progressiven bis konservativen Spektrum. Ein Indikator dafür ist, dass die Blogger zunehmend auf den Online-Seiten verschiedener Zeitungen als Kolumnisten auftreten.

Sie haben bei der Wahlkampagne von US-Präsident Barack Obama mitgemacht. Welche Rolle haben politische Blogger bei dieser der Kampagne gespielt und welchen Einfluss hatten sie auf die Meinungsbildung?
In Amerika brauchen Kandidaten eine große mediale Reichweite, weil sie nicht auf die Struktur der Parteien zurückgreifen können. In amerikanischen Wahlkampagnen sind Blogs daher stark meinungsbildende Medien. Dessen sind sich die Kandidaten auch bewusst, deshalb werden neben der Presse auch Blogger auf Wahlkampftouren und zu Vorträgen eingeladen. Diese Relevanz haben Blogger in Deutschland nicht.

Welche Rolle spielen Blogs für die politische Teilhabe und Meinungsbildung?
In Deutschland versuchen Politiker aufgrund des starken Parteiensystems Mehrheiten eher innerhalb der Parteien zu sammeln. Auch politische Willensbildung findet in Deutschland eher hinter den Kulissen und weniger im öffentlichen Diskurs statt. Aber Ausnahmen gibt es natürlich, zum Beispiel Halina Wawzyniak, Bundestagsabgeordnete der Linken für Berlin-Kreuzberg, die in ihrem Blog auch die Debatten aus dem Parteivorstand kommentiert, in dem sie sitzt. Blogger schaffen es aber, politische Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Der #Aufschrei (Debatte über Sexismus nach der sexuellen Belästigung einer Journalistin durch den FDP-Politiker Brüderle, Anm. d. Red.) ist ein Bespiel dafür. Wesentlichen Einfluss auf politische Entscheidungen haben Blogger jedoch noch nicht.

Wie sehen Sie die Zukunft politischen Bloggens in Deutschland?
Ich glaube, dass das politische Bloggen in Deutschland bedeutender wird, weil meinungsstarke Medien eine höhere Resonanz haben. Persönlicher Journalismus, bei dem die Journalisten oder die Blogger sich nicht mehr hinter einer anonymen Marke oder einer Zeitschrift verstecken, sondern mit ihrer Person und ihrem Namen verknüpft politisch agieren, wird noch stärker zunehmen.

Journalisten haben schon immer politisch gehandelt, auch wenn sie beim Spiegel oder Stern Neutralität vorgeben. Journalisten haben massive Eigeninteressen und haben das in ihren Artikeln auch immer deutlich werden lassen. Ich finde es ehrlicher, wenn Journalisten ihre Meinung deutlich sagen und man als Leser ihre Berichterstattung vor diesem Kontext auch einordnen kann.

Heute ist viel von Zeitungssterben die Rede, von gekürzten Redaktionsstellen und unterbezahlten freien Journalisten. Untergraben Blogger den Qualitätsjournalismus weiter oder bereichern sie ihn?
Ich sehe zwischen Bloggern und Journalisten überhaupt keine große Differenz. Der Medienmarkt wächst. Online wächst er natürlich massiv, aber ich glaube auch nicht, dass das Geschäftsmodell des Print-Journalismus komplett gegen die Wand fährt. Für Nischenthemen werden sich immer Käufer finden, die diese auch gedruckt konsumieren wollen. Was abnimmt ist die Auflage der Tageszeitungen, weil die Leser von Nachrichten ins Netz wandern und es dafür noch wenig innovative Refinanzierungsmodelle gibt. Hier kommen Blogger ins Spiel, die politische Debatten anstoßen und so Zeitungsmarken wieder attraktiv werden lassen. Oder als »Citizen-Journalist« wie bei vielen lokalen Blogs Themen aufnehmen, die Tageszeitung aufgrund fehlender Ressourcen nicht mehr bedienen. Eigentlich ist das eine ideale Situation für die Journalisten-Gewerkschaften, denn natürlich brauchen auch Blogger Rechtsschutz, brauchen Verhandlungsmacht gegenüber den Medienhäuser, die ihre Texte verwenden. Ich bin selber auch Gewerkschaftsmitglied bei einer Journalisten-Gewerkschaft, aber mein Eindruck ist, dass die Journalisten-Gewerkschaften leider noch sehr stark davon überzeugt sind, dass ein Blogger kein legitimer Journalist oder Medienproduzent ist und nicht Mitglied werden darf, wenn er sein Haupteinkommen nicht mit Medienproduktion verdient. Das sehe ich absolut nicht so.

Gibt es nicht gerade für Blogger den Balanceakt zwischen »davon leben können müssen« und sich gleichzeitig nicht kommerziellen Interessen beugen zu wollen?
Das würde ich noch nicht so sagen. Meine Wahrnehmung ist eher, dass die Leute, die bloggen, sehr viel freier von kommerziellen Interessen sind, weil sie wissen, dass ihre persönliche Reputation auf dem Spiel steht. Aber es gibt natürlich Leute, die von vornherein rein kommerziell bloggen. Reiseblogger zum Beispiel, Autotester oder Produkttestblogs, bei denen klar ist, dass sie über Anzeigen Geld einnehmen wollen. Ich sehe aber keine große Schwierigkeit bei Bloggern, die wirtschaftliche Abhängigkeiten klar und deutlich zu erkennen.
Bei den klassischen Medienhäusern sehe ich die Probleme viel eher. Es gibt da immer Abhängigkeiten, die weniger zwischen Redaktion und den Anzeigenpartnern entstehen, sondern zwischen der Geschäftsführung und den Anzeigenpartnern. Da muss man aufpassen. Diese Abhängigkeiten werden dann gefiltert an die Redaktion weitergegeben. Dann kann man als Redakteur manchmal gar nicht wissen, in welchen finanziellen Abhängigkeiten eine Zeitung zu den Geldgebern steht.

Das Konzept der Huffington Post ist es, ihre Blogger nicht zu bezahlen, sondern ihnen anstatt dessen Aufmerksamkeit und eine Plattform zu versprechen. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich finde ich das überhaupt nicht verwerflich. Es ist ein Geschäftsmodell, das es auch offline gibt. Als Blogger muss man sich immer fragen: In welchem Verhältnis stehe ich dazu? Wie passe ich auf, dass mich niemand instrumentalisiert, und wie kann ich diese Plattform für mich und meine Ziele nutzen? Es gibt gemeinsame Interessen, es gibt aber auch gegensätzliche Interessen – zum Beispiel bei der Verwertung der Texte und bei Ansprüchen der Blogger an die VG Wort. Da es durchaus Unterschiede zwischen den Herausgebern, zum Beispiel der Huffington Post, und den Bloggern gibt, müssten sich die Blogger ebenso wie Journalisten eine gemeinsame Interessenvertretung aufbauen. Viele Blogger sehen das gar nicht so, sie nehmen sich nicht als eine Gruppe wahr.

Sehen Sie im Leser-Journalismus die Zukunft des Bloggens? Auch andere Medien wie Zeit-Online oder der Freitag haben mittlerweile das System, das sie Blogger umsonst für sich schreiben lassen.
Ich glaube, dass es immer mehr Leute gibt, die aktiv Medien gestalten wollen. Insofern gibt es eigentlich für Print- oder Online-Medien, die ein langfristiges Geschäftsmodell aufbauen wollen, keine andere Möglichkeit, als ihre Leser aktiv einzubinden. Und das heißt mehr als nur Kommentare zuzulassen. Die Leser wollen in den Redaktionsprozess mit eingebunden werden. Es geht darum, innerhalb der Redaktion oder des redaktionellen Prozesses eine Form des Citizen-Journalism zu nutzen. Daran wird, glaube ich, keine Zeitung in Deutschland vorbeikommen.