Werbung

Was da endet, darf nicht enden

Kent Nagano dirigierte das Deutsche Symphonie-Orchester mit Plate, Ives, Bartók und Strauss in der Berliner Philharmonie

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Sonderbar dieses Konzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) unter Kent Nagano. Alle Stücke hingen irgendwie miteinander zusammen und gingen doch weit auseinander. Merkwürdig zugleich die Art, wie sie vorgebracht wurden. Es schien, als wären sie allesamt wie Jacken über einen Bügel gezogen worden.

Da wäre das Eingangsstück von Anton Plate zu nennen: »At the River« für Orchester, typisches Prolog-Stück, das ein Lied gleichen Namens von Charles Ives verarbeitet, jedoch dessen Schlichtheit, auch Freudigkeit nicht klarlegt, sondern instrumentell aufbläht. Plate, regionale Größe aus Niedersachsen (Hannover), Pianist, Dirigent, Komponist: Er hätte hier mit »vertrackten Terzreihen« und zu Zwölftonreihen verlängerten B-A-C-H-Motiven gearbeitet. Der Komponist, das verrät diese Musik, liebt Ives. Er dürfte sich auch in orchestraler Hinsicht bei ihm allerlei geliehen haben. Allerdings, was der große Amerikaner - er lebte von 1874 bis 1954 und komponierte sein umfängliches Werk in nur wenigen Jahren - seinerzeit aussprach, ist nicht einfach zu verdicken und zu verdoppeln. Da muss wohl Anderes und vor allem mehr Eigenes kommen.

Das zweite Stück dröselte den geschichtlichen Faden weiter. Ein allseits unbekanntes Largo von Ives kam zu Gehör, ursprünglich langsamer Satz einer Violinsonate, die der Schöpfer verworfen hatte. Was tut der weise Grand Old Man? Er schafft zum Ausklang seines Lebens daraus eine Triofassung für Violine, Klarinette, Klavier. Nun muss das nicht alles erzählt werden, dazu sind Programmhefte da. Viel später jedenfalls, der Komponist war längst tot, kam dieser Largo-Satz in der Ursprungsbesetzung für Violine und Klavier zur Aufführung. Nichts Sensationelles. Warum Anton Plate dieses Sätzchen für Violine und Orchester bearbeitet hat, bleibt schleierhaft. Denn es scheint eher Nebenprodukt als Wurf.

Bernhard Hartog, langjähriger, jetzt scheidender Konzertmeister des DSO - ihm galt der Beifall des Abends auch beim folgenden Bartók-Stück -, Hartog spielte den Solopart so andächtig, so schön, so folgenlos, dass einem nichts weiter einfiel, als betreten die Augenlider zu senken.

Dann Bartók. Die Erlösung. Endlich Erlebnis. Dessen erstes Violinkonzert hat wie Ives’ Largo gleichfalls lange geschwiegen. Es lag noch in der Schublade der Violinistin Stefi Geyer, als diese schon im Grabe lag. Irgendwelche Finger fanden es dann. Stefi Geyer war Bartóks große Jugendliebe. Er hat sie begehrt wie keiner sonst, ihrer Seele galt sein Fühlen und Streben. Verständlich: Je mehr er wahrnahm, dass seine Liebe unerwidert blieb, je mehr wuchsen ihm musikalische Flügel.

Sein Violinkonzert ist eine Liebeserklärung und zugleich Inbegriff der Ahnung des Endes (der Liebe). Recht gehört, simuliert der durchbrochene virtuose Finalsatz »Allegro giocoso« etwas, das zu enden scheint, nicht enden darf. Bremsvorgänge sind komponiert. Hoffnung darf nicht aufhören. Tatsächlich hört es in dem Satz vielfach auf, ohne richtig aufzuhören. Erst am faktischen Schluss des Werks darf sich der Solist ausleben, seine virtuosen Künste auf die Waage legen. Bernhard Hartog - alle Achtung - hat den Violinpart prachtvoll geboten und das Orchester war packend.

Zerronnen die Potenz des Abends im zweiten Teil. Ist Richard Straussens symphonisches »Heldenleben« schon an der Grenze des Genießbaren, so nicht minder seine »Alpensymphonie«. Dass Kent Nagano dies spätromantische Paket an Überfluss und Heroik, effektibel gebettet in die Linien einer Alpenlandschaft, dirigiert hat, verwundert. Der Mann ist eigentlich viel zu klug und sensibel, derlei Strotz und Bildnerei mit Gebimmel, Sturm und Donner auszubreiten. Oberflächenmusik? Nun, das Orchester gab eine Stunde lang sein Bestes.

Glaube der Leser nicht, dass die Oberfläche nichts verrät. Das Werk, beendet, als der Erste Weltkrieg allen mordspatriotischen Trug beseitigt hatte, kann gänzlich anders gehört werden. Nämlich als die Verbildlichung der »Stahlgewitter« eines Ernst Jünger, wo die Nebel der »edlen« Gefühle aufsteigen, der Donner der Stellungskriege birst, wo das Blut der Gefallenen wie die Wasser der Alpenbäche rinnt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal