Von der Front in die Stube

Vor 90 Jahren begann in Berlin das Radiozeitalter

  • Hans-Jürgen Krug
  • Lesedauer: 2 Min.

»Achtung! Hier Sendestelle Berlin im Voxhaus, auf Welle 400«. Es folgt die knappe Mitteilung, dass »am heutigen Tage« der Unterhaltungsrundfunk beginnt. So startete vor 90 Jahren, am 29. Oktober 1923, um 20 Uhr das Rundfunkzeitalter in Deutschland.

Es ist ein sehr provisorischer Anfang. Mitte September beginnen Techniker der Reichspost, den ersten Rundfunksender im Haus der Vox-Schallplattengesellschaft in der Potsdamer Straße 4 aufzubauen. Sie brauchen dafür 14 Tage. Der 0,25-Watt-Sender stammt aus einem U-Boot, die Studioräume werden notdürftig mit Pferdedecken gedämmt. Ende September 1923 erklärt Hans Bredow, damals Staatssekretär im Reichspostministerium, dass der »Unterhaltungsrundfunk« für jedermann freigegeben werde.

Am 24. Oktober veröffentlichte das Reichspostministerium die Verfügung 815: »Vorträge künstlerischen und unterhaltenden Inhalts, Musiksendungen und dgl.« durften nun »zunächst versuchsweise und in bescheidenem Umfang« auf »drahtlos telefonischem Wege« verbreitet werden. Rundfunkhörer brauchen zunächst eine Genehmigungsurkunde und müssen eine verhältnismäßig hohe Gebühr zahlen. Ende 1923 haben 467 Teilnehmer ihre Geräte angemeldet. Viele Hörer dürften Radiobastler gewesen sein, angeblich hat es um die 10 000 Schwarzhörer gegeben. Da es noch keine Aufzeichnungsmöglichkeiten gab, sind die ersten Sendungen nicht erhalten.

Die technischen Voraussetzungen für einen allgemeinen Rundfunk standen seit 1918 zur Verfügung. Bredow hatte im Ersten Weltkrieg schon Hörfunk für Soldaten an der Westfront gemacht, seit 1922 versorgte der drahtlose Wirtschafts-Rundspruchdienst etwa 2000 Teilnehmer mit Informationen, vor allem Banken und Geschäftsleute. Die große Öffentlichkeit aber wartete noch nicht auf den Rundfunk, so hat Bertolt Brecht es einmal notiert. Sondern: »Der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit.«

Der 29. Oktober 1923 ist dann der Startschuss zu einem medialen Aufbruch. Wenig später werden in Berlin, dann in Breslau, Frankfurt, Hamburg, Königsberg, Leipzig, München, Münster und Stuttgart Anbietergesellschaften gegründet. Die Industrie beginnt mit der Produktion von Detektoren und Röhrenempfängern, die Zahl der angemeldeten Geräte steigt erst langsam, dann - nachdem die Gebühren auf gesenkt werden - rapide. Ein Jahr nach dem Start sind es 270 000 Geräte, 1926 schon 1,2 Millionen. Aus dem einstündigen Startprogramm werden bald Tagesprogramme. Gesendet wird auf Mittelwelle, die Programmauswahl ist gering.

90 Jahre nach dem Berliner Startschuss besitzen fast alle Haushalte ein Radiogerät, die meisten mehrere. 130 Millionen Radios soll es in Deutschland geben. Radio kann analog und digital empfangen werden, Podcasts erlauben auch das gezielte Nachhören einzelner Sendungen. Längst hat das Radio sich von seiner ursprünglichen Übertragungstechnik emanzipiert. Und die Mittelwelle, mit der alles begonnen hat, wird 2015 abgeschaltet. epd

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