Gysi im Mensa-Exil

An der Freien Universität werden immer häufiger politische Veranstaltungen behindert

  • Wladek Flakin
  • Lesedauer: 3 Min.
Wolfgang Schäuble wurde empfangen, Peer Steinbrück durfte sprechen. Linksfraktionschef Gregor Gysi aber musste für eine Veranstaltung an der Freien Universität (FU) in die Mensa umziehen.

»Ich bin nicht neutral.« So begann Gregor Gysi seine Ausführungen vor bis zu 400 Studierenden an der Freien Universität Berlin. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag sprach dabei aber nicht in einem Hörsaal, denn das FU-Präsidium hatte für die Veranstaltung zur Eurokrise keinen Raum zur Verfügung gestellt. Für die Raumvergabe gäbe es ein»Neutralitätsgebot«, so Uni-Präsident Peter André Alt in einem Brief an Gysi. Doch dieses angebliche »Neutralitätsgebot« wird in letzter Zeit häufig gegen linke Veranstaltungen an der FU angewendet.

Erst im Mai hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im größten Hörsaal der FU zum gleichen Thema referiert. Er wurde von Alt persönlich begrüßt mit einem Verweis auf die Tradition der FU als »Begegnungs- und Diskussionsstätte zwischen Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft«. Auch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) konnte während des Wahlkampfes im gleichen Saal sprechen. Nur bei Gysi stellte die Unileitung fest, dass es bei der Veranstaltung keinen »direkten Hochschul- oder Wissenschaftsbezug« gibt, wie eine Sprecherin gegenüber »nd« erklärte.

»Ob Schäuble neutral ist?« fragte Gysi scherzhaft in die Runde. »Da würde ich ein Fragezeichen dahinter setzen.« Die Veranstaltung, organisiert vom Studierendenverband SDS, fand am Dienstag im Foyer vor der Mensa statt. »FU verbietet Gysi«, stand auf zahlreichen Plakaten und hunderten Flugblättern, was den Redner erst recht interessant machte. »Teach-In« heißt eine solche Aktion, so wie die nicht genehmigten Diskussionsrunden, die ab 1968 an der Uni stattfanden.

Seit einigen Monaten geht die FU verstärkt gegen kritische Meinungen vor. Auch für eine Veranstaltung des Sozialreferats des AStA zur theoretischen Auseinandersetzung mit den Menschenrechten wurde kein Raum zugeteilt. Er könnte den »wissenschaftlichen Fokus« der Veranstaltung nicht erkennen, so die Argumentation von Alt. »Das Präsidium entscheidet willkürlich über Wissenschaftlichkeit«, erklärt Mathias Bartelt, der die Studierenden im Akademischen Senat vertritt. »Es gibt keine Regelungen dazu, lediglich das unkontrollierte Hausrecht der Unileitung.« Auch die Studentin und SDS-Aktivistin Ronda Kipka ist empört: »An einer sich als ›frei‹ bezeichnenden Universität dürfen politische Debatten nicht unterdrückt werden.«

Am Tag nach dem Gysi-Besuch wurde ein Transparent zur Ankündigung einer studentischen Vollversammlung vom Foyer entfernt. Angeblich werden dadurch Fluchtwege blockiert - sagte das Sicherheitspersonal. Bereits im Juni hatte der AStA eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Präsidium eingelegt, da auch Plakate für Vollversammlungen - laut dem Berliner Hochschulgesetz ein »zentrales Organ der Studierendenschaft« - systematisch entfernt wurden.

Das Präsidium hatte im letzten Jahr mit massiven studentischen Protesten gegen eine neue Studienordnung zu kämpfen. Sitzungen des Akademischen Senats wurden wiederholt durch Proteste gestört.

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