Georgiens Rosenrevolutionär tritt ab

Michail Saakaschwilis Zukunft ist ungewiss, der neue Präsident heißt Georgi Margwelaschwili

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Georgien hat einen neuen Präsidenten: Georgi Margwelaschwili. Für ihn stimmten Sonntag rund 62 Prozent der Wähler. Allerdings hat das georgische Staatsoberhaupt kaum noch Machtbefugnisse.

»Margwelaschwili ist ein Führer von europäischem Stil«, hatte Georgiens Regierungschef Bidsina Iwanischwili seinen Favoriten für das Amt des Präsidenten im August vorgestellt. »Ich bin sicher, dass er gewinnen wird. Das wird ein Sieg des gesamten Landes sein.« Tatsächlich erhielt der promovierte Philosoph bereits in der ersten Runde der Wahl am Sonntag rund 62 Prozent der Stimmen. Sein schärfster Konkurrent, der ehemalige Parlamentspräsident Dawid Bakradse von der Vereinigten Nationalen Bewegung des scheidenden Präsidenten Michail Saakaschwili musste sich mit 22 Prozent begnügen und seine Niederlage anerkennen. Nino Burdschanadse, ebenfalls früher Parlamentschefin, sammelte rund zehn Prozent der Stimmen. Insgesamt hatten sich 23 Kandidaten zur Wahl gestellt.

Die von Iwanischwili gepriesenen Führungsqualitäten wird der neue Präsident indes kaum beweisen müssen, sein Amt ist künftig ein vorwiegend repräsentatives. Regierung und Opposition hatten sich bereits vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr auf den Umbau Georgiens in Richtung einer parlamentarischen Demokratie geeinigt: Die stärkste Fraktion in der Nationalversammlung stellt die Regierung, und deren Chef hat das Sagen. Der bisherige Präsident Michail Saakaschwili, dem die Verfassung eine dritte Amtszeit verbot, hoffte damals noch auf den Sieg seiner Vereinigten Nationalen Bewegung, wodurch ihm selbst das Amt des Premiers zugefallen wäre. Doch der einstige Held der »Rosenrevolution«, der 2003 Altpräsident Eduard Schewardnadse zum Rücktritt zwang, litt offenbar unter Realitätsverlust. Die Georgier entschieden sich im Oktober 2012 für seine Konkurrenz, den Georgischen Traum, ein Bündnis aus sieben Parteien, das Multimilliardär Bidsina Iwanischwili auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zusammengeschweißt hatte. Dessen Kandidat, der parteilose ehemalige Hochschulrektor Margwelaschwili, machte nun auch bei den Präsidentenwahlen das Rennen.

Zwar soll »der Neue« seinem Vorgänger Straffreiheit zugesichert haben, so wie der einst Schewardnadse verschonte. Doch Kenner vermuten, gleich nach der Amtseinführung Margwelaschwilis am 17. November werde gegen Saakaschwili Anklage erhoben. Der Vorwurf lautet auf Machtmissbrauch. Unter der gleichen Anklage wurde erst am Montag Saakaschwilis Vertrauter, der frühere Verteidigungsminister Batscho Achalaja, zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Als Chef des Gefängnissystems hatte er mehrere Häftlinge brutal verprügelt. Ins Sündenregister des einstigen Rosenkavaliers schreiben dessen Kritiker weitaus mehr als den Skandal um Folter in Gefängnissen.

So soll Saakaschwili beim Tod von Premierminister Surab Schwanija 2006 nachgeholfen haben. Auch andere frühere Weggefährten, mit denen er sich schnell überwarf, ließ der vermeintliche Musterschüler westlicher Demokratie verfolgen und ins Exil treiben. Friedliche Demonstrationen Unzufriedener löste er gern mit Tränengas und Wasserwerfern auf. Vor allem aber lasten die Georgier ihm den verlorenen Krieg mit Russland im August 2008 an. Ein Bericht der sonst mit Wertungen vorsichtigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) porträtiert Saakaschwili als den Aggressor, seine Truppen überschritten als Erste die Demarkationslinie zur abtrünnigen Region Südossetien. Nachdem Russland Südossetien und die Schwarzmeerregion Abchasien als unabhängig anerkannt hatte, brach Saakaschwili zudem die diplomatischen Beziehungen zu Moskau ab.

Premier Iwanischwili bemüht sich um Rückkehr zur Normalität, darüber könnte der neue Präsident demnächst mit seinem Kollegen Wladimir Putin reden. Margwelaschwili (44) gilt als Verhandlungskünstler. Und Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte bereits am Montag: »Es stellt sich nun durchaus die Frage nach einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen.« Der erste Schritt müsse aber von Tbilissi kommen.

Einen Kompromiss im Konflikt um die abtrünnigen Republiken dürfte aber auch Margwelaschwili nicht mit nach Hause bringen. Für Moskau ist deren Unabhängigkeit unabänderlich, für Tbilissi bleibt die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Staatsräson. Zu Konzessionen wäre Russland allenfalls bereit, wenn Georgien sich für Integrationsprojekte wie die Zollunion erwärmte oder in die UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS zurückkehrte, wie Putins Sprecher letzte Woche in Minsk andeutete. Tbilissi konterte umgehend: Die Integration in europäische Strukturen - sprich: die Annäherung an EU und NATO - stehe nicht zur Disposition.

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