Bahn bremst die S-Bahn

Auf einigen Abschnitten darf neuerdings nur noch Tempo 40 oder 50 gefahren werden

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei der S-Bahn gilt ein schärferes Tempolimit. Schneller als Tempo 80 darf nicht mehr gefahren werden, manchmal noch weniger. Der Fahrgastverband Igeb befürchtet Pünktlichkeitsprobleme.

Gerade scheint sich die S-Bahn aus der Krise befreit zu haben, da wird das Unternehmen erneut ausgebremst. Und zwar aus der eigenen Konzernzentrale der Deutschen Bahn (DB). Vorerst bis zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember dürfen die S-Bahnen im gesamten Netz nicht schneller als Tempo 80 fahren. Für die neueren Züge der Baureihe 481 gilt wegen der Probleme mit dem Bremssystem zwar ohnehin diese Höchstgeschwindigkeit, doch die älteren Baureihen durften noch mit Tempo 90 oder 100 unterwegs sein. Das ist jetzt etwa auf der S 3 zwischen Ostkreuz und Erkner oder zwischen Tegel und Hennigsdorf nicht mehr möglich. Auf einigen Abschnitten wurde die Geschwindigkeit noch drastischer herabgesetzt, so zwischen Gesundbrunnen und Bornholmer Straße auf Tempo 40 und zwischen Wannsee und Nikolassee auf Tempo 50.

Begründet wird die Reduzierung von der DB mit der »Anwendung des gültigen Regelwerks der Bahn auch für die S-Bahn-Infrastruktur«. Jahrzehntelang war die S-Bahn praktisch nach einem eigenen Regelwerk gefahren. Jetzt sollen Streckenbeschilderung und Signale dem allgemeinen Bahnstandard angepasst und die neuen Geschwindigkeiten in den ab 15. Dezember gültigen Fahrplan eingearbeitet werden.

Auf die Pünktlichkeit hätten die Beschränkungen »nur geringfügige Auswirkungen«, so Bahnsprecher Burkhard Ahlert. Dem widerspricht der Fahrgastverband Igeb. Besonders auf der Ringbahn und der S 1 seien die Auswirkungen bereits zu spüren. »Es gibt zudem immer weniger Zeitpuffer, um Verspätungen aufzuholen, zum Beispiel zwischen Tempelhof und Herrmannstraße, wo die Züge der Baureihe 485 statt Tempo 90 nur noch Tempo 80 fahren dürfen«, so der stellvertretende Igeb-Vorsitzende Jens Wieseke.

Die Bahn begründet die Neuregelung zudem mit dem laufenden Ausschreibungsverfahren für die Ringbahn. Die Bewerber bekämen dadurch Rechtssicherheit auch bei der Berechnung der Fahrzeiten. Insider vermuten dagegen eher, dass die Bahn mit dem komplizierten Regelwerk Hürden für mögliche Konkurrenten aufbauen will, um selbst zum Zuge zu kommen. »Es ist doch jedem Bewerber um die S-Bahn zuzutrauen, dass er sich an die derzeit gültigen S-Bahn-Regularien halten kann«, heißt es dagegen bei den Kritikern.

Nach Ansicht des Fahrgastverbandes berücksichtigt die Neuregulierung nicht den Besonderheiten der S-Bahn. »Auf S-Bahn-Gleisen sind keine 700 Meter langen Güterzüge, keine spurtstarken Regionalzüge und keine ICE-Hochgeschwindigkeitszüge unterwegs«, so Wieseke. Die S-Bahnen fahren auf eigenen Gleisen, beziehen ihren Strom aus einer seitlichen Schiene, und das Zugsicherungssystem ist unkompatibel mit den üblichen Systemen. Die Infrastruktur ist diesen Besonderheiten angepasst. Durch die geplanten Veränderungen »drohen nicht nur weitere Geschwindigkeitseinbrüche und eine Verringerung der gesamten Leistungsfähigkeit, sondern auch deutliche Erschwernisse bei Bauzuständen oder Störungen«, warnt der Verband. Pendelverkehr beispielsweise sei nicht mehr vorgesehen.

Spürbar seien die Auswirkungen bereits an der Baustelle am Bahnhof Schöneweide. Auf der hochbelasteten Trasse wurden keine sogenannten Nachrücksignale mehr eingebaut, die es nur bei der S-Bahn gibt. Dadurch können die Züge nicht mehr so häufig wie geplant fahren, was zu Verspätungen besonders im Berufsverkehr führt. Der Igeb fordert, das S-Bahn-Netz aus dem der DB auszugliedern und als Eisenbahn des Bundes in eine eigene Gesellschaft zu überführen.

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