nd-aktuell.de / 30.10.2013 / Kultur / Seite 15

Gott der Gaukler

Blatt für Fellini

Hans-Dieter Schütt

Es gab eine Welt, die wuchs aus der unbefriedigten Jugend von Kinogängern. Einer Jugend in Klüften zwischen sommerlicher Badesaion und dem toten Winter. Man verglich sich mit jener Welt, die das Kino darstellte - und das Unglück wurde nur größer. Federico Fellini aus Rimini ging nach Rom, wechselte auf die andere Seite der Leinwand. Um selber Kino zu werden. Provinz und Metropole: Zwischen der Monströsität des Geringen und der Monströsität des Gigantischen bildete sich bei Fellini eine gemeinsame Mythologie, die um riesige weibliche Gottheiten kreist. Anita Ekberg etwa, in »La dolce vita«.

Fellini war zunächst Zeichner für humoristische Zeitungen. Die spielende Kindfrau Giulietta Masina stellte den Zusammenhang her zwischen diesen Comics und Filmen über die Melancholie der Clowns. All jener, die keine Heimat haben, weil sie dem Erfolg hinterherreisen, und die ein kranker Magen quält, weil sie sich vom Applaus nähren.

Der ruppige, ja ungehörige Strich als Wegweiser in des Lebens Kern. Der in jener familiären Hysterie zu finden ist, die Fellini aus einer italienischen Spezialität in den Rang eines zivilisatorischen Energiefeldes für Liebe und Hass erhob. Der Intellektuelle war für Fellini stets ein Verzweifelter, der sich im besten Falle aufhängt wie in »Achteinhalb«. Fellinis Kino strahl spirituelles Wissen aus, geboren aus religiöser Teilhabe am Geheimnis des Universums, geknetet aus sicherem Instinkt für das Spektakuläre, für die elementare Grausamkeit des Karnevals wie die des Weltuntergangs.

Faschismus im Kino Fellinis? Ebenfalls Beschwörung durch die Schärfe der Karikatur. Es genügt, dass der komische Stationsvorsteher in »Die Clowns«, der von den Jungen im Zug geneckt wird, einen Bahnpolizisten mit schwarzem Schnurrbart ruft, woraufhin sich aus dem gespenstischen Zug die Arme der Jungen zum stummen, römischen Gruß erheben. Da ist es, das Klima der Epoche.

Auf dem Weg des visuell Abstoßenden konnte Fellini sehr weit gehen, aber auf dem des moralisch Abstoßenden machte er Halt und holte das Monströse zurück ins Humane, in die nachsichtige Komplexität des Fleisches. Unvergessen die zwergwüchsige Nonne in »Amarcord«, die den Verrückten auf dem Baum beruhigt. Die Provinzen und das Rom der Filmglitzerwelt sind Höllenkreise - aber doch auch Schlaraffenländer für Genuss. Dieser Magier zwingt mich Zuschauenden zum Geständnis: Man möchte weit wegstoßen, was im Innersten bewegt. Da sind die ersten Bilder des Eros und die dauernden Vorahnungen des Todes, wie sie uns in jedem Traum ereilen. Das Ende der Welt begann mit uns und hat kein Finale; der Film, als dessen Publikum wir uns meinen, ist die Geschichte unseres Lebens. »La strada«, »Orchesterprobe«, »Schiff der Träume«, »Ginger und Fred«.

Federico Fellini, der geniale Kinoregisseur, 1920 geboren, ist am 31. Oktober vor zwanzig Jahren gestorben.